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Lindenallee

Lindenallee

Titel: Lindenallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Rohde
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sie begannen zu raufen. Ich seufzte, nicht wegen der Rangelei, sondern deswegen, weil Friedrich meine Hand los gelassen hatte.
    Die beiden setzten ihr Kräftemessen eine Weile fort, ehe Friedrich seine Ankündigung in die Tat umsetzte und nach Hause zu seiner Mutter lief. Ich blieb mit Heinz zurück, wir setzten uns unter unsere große Linde. Wir sprachen nicht mehr viel, wir beide wussten, ein Teil unserer geborgenen Kindheit war vorbei. Die Welt der Erwachsenen sog uns unerbittlich in sich auf. Das gefiel uns gar nicht.
    Ich konnte das Verschwinden von Peters Vater nur schwer einordnen. Auch die Sache mit den Flugblättern. Ich hatte mich nie sonderlich für Politik interessiert, aber jetzt wurde mit klar, dass sie allgegenwärtig war. Sie hatte etwas in Gang gebracht, das ich nicht überschauen konnte. Außerdem gab es einen Verräter, wer mochte das sein?
    Nach diesem Abend voller beunruhigender Neuigkeiten schlief ich schlecht. Ich träumte Friedrich würde spurlos verschwinden und ich konnte ihn nirgends finden. Ich lief durch das Dorf und rief seinen Namen, aber er antwortete nicht. Hinter den hohen Mauern des Rittergutes meinte ich eine hämisch lachende Stimme zu vernehmen, die mich weitertrieb, ihn zu suchen. Ich lief und irrte umher, er blieb wie vom Erdboden verschluckt. Schreiend wachte ich aus diesem Alptraum auf und saß kerzengerade im Bett.
    Heinz kam zu mir. „Was ist los Magarete?"
    „Ich habe etwas Furchtbares geträumt." Beruhigend strich er mir über den Arm. „Das war nur ein Traum."
    „Ich weiß nicht", stammelte ich. „Das war so real. Ich mache mir Sorgen um Friedrich. Ich habe das Gefühl, dass etwas Schlimmes passieren wird."
    Heinz setzte für einen Moment mit seiner Handbewegung aus. Es war, als ob er ähnliche Gedanken hegte. Er versuchte mich zu beruhigen. „Ach was, lass dich nicht irre machen. Das war nur ein Traum. Morgen siehst du Friedrich wieder und wenn du ihm erzählst, was du geträumt hast, wird er dich auslachen."
    Wir saßen eine Weile da und wünschten uns, dass es so wäre. Wir waren aber auch keine kleinen Kinder mehr, die blauäugig durch die Welt liefen.
     
    Der nächste Tag kam und Friedrich war noch da. Das beruhigte mich ungemein, aber mir fiel auf, dass er nachdenklicher und ruhiger war. Wenn er sich unbeobachtet wähnte, erwischte ich ihn dabei, wie er vor sich hingrübelte. Er hat uns nie erzählt, wie seine Mutter auf die Verhaftung von Peters Vater reagiert hat. Friedrich und seine Mutter umgab ein Geheimnis, das sie nicht bereit waren zu lüften.
    Später, erst viel später fanden wir heraus, was es war. Und das war schrecklich.
     
    Die Wochen vergingen, der Winter kündigte sich mit kalter klarer Luft an. Das Verschwinden von Peter und seinem Vater wurde totgeschwiegen. Es war unheimlich, wie zwei Menschen so einfach von der Bildfläche verschwinden konnten. Ein mulmiges Gefühl blieb im Unterbewusstsein.
    Die beginnende Adventszeit wiegte mich 1938 in trügerischer Sicherheit und diese Weihnachten sollten die schönsten meines ganzen Lebens werden. Kurz vor Heiligabend begann es zu schneien. Dichte Schneeschauer hüllten das Land in weiße, dicke Watte. Es war herrlich, das Dorf schmückte sich feierlich, meine Mutter dekorierte den Tannenbaum mit selbst gebasteltem Weihnachtsschmuck aus Stroh und kostbaren Glaskugeln. Aus der Küche roch es verführerisch nach Keksen und Gewürzen. Ich half meiner Mutter beim Backen und durfte den Teig probieren. Ich habe es geliebt, die Rührschüssel auszulecken. Weihnachten war immer eine herrliche Zeit.
    Heiligabend ging das ganze Dorf in die Kirche. Wir hatten unsere besten Kleider angezogen und folgten aufgeregt dem Gottesdienst, denn im Anschluss sollte es zu Hause Bescherung geben. Unsere Wünsche waren eher bescheiden, nicht vergleichbar mit heute, aber wir wussten unsere Eltern gaben sich immer große Mühe, uns eine Freude zu bereiten.
    Die größte Freude sollte mir aber Friedrich machen. Bei der heiligen Abendmesse saß er mit seiner Mutter in der Kirche weiter hinten. Ich hatte mich am Anfang des Gottesdienstes suchend nach ihm umgesehen und ihn gefunden. Er saß da und lächelte mich an, so als ob er schon die ganze Zeit darauf gewartet hätte, dass ich mich nach ihm umdrehte. Mir wurde warm ums Herz und ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoss. Schüchtern lächelte ich ihn an und senkte den Blick. Er bemerkte es und grinste mich an. Ich wurde noch roter. Das ärgerte mich, ich wollte doch

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