Lindenallee
Magarete verschwand in Richtung Küche, während Paula sich setzte. Ihr Blick fiel auf die gegenüberliegende Wand, an der ein kunstvoll gearbeiteter Sekretär stand. Die obere Ablagefläche war mit zahlreichen Bilderrahmen bedeckt, viele der Bilder waren in schwarz-weiß aufgenommen.
„Nein Paula, du stehst nicht auf und siehst dir die Fotos an. Dabei wirst du nur wieder erwischt. Erinnere dich an die Szene beim Arzt, das war so peinlich", sprach sie leise vor sich hin.
„Mit wem sprichst du?", rief Magarete aus der Küche.
„Mit niemanden. Manchmal nur mit mir selbst.“
„Na dann, ich dachte schon es wäre noch jemand hier", erwiderte Magarete belustigt. „Aber sei beruhigt, das passiert mir auch häufiger." Sie kam mit dem Kaffee ins Wohnzimmer. „Das passiert, wenn man zu viel alleine ist. Dann redet man eben mit sich selbst." Sie setzte sich zu Paula aufs Sofa.
„Dann wollen wir erst mal Kaffee trinken, ja?" Magarete goss ein. „Und ein Stück Kuchen, was kann es Besseres um diese Uhrzeit geben?"
„Nichts, würde ich sagen", stimmte Paula zu. „Aber ich habe ja noch etwas für dich." Paula zeigte auf die bunte Pflanzschale.
„Das wäre doch nicht nötig gewesen", wiegelte Magarete halbherzig ab.
„Doch, so gut wie du mich die letzten Tage verpflegt hast, war das absolut nötig."
„Na dann, vielen Dank. Es sieht sehr schön aus." Magarete lächelte und nahm sich den Teller mit dem Kuchen.
Sie aßen den Kuchen, die Standuhr tickte im Hintergrund, zufrieden saßen beide da und schwiegen eine Weile.
„Und, was hast du heute gemacht? Über Frau Lindner weiß ich, dass du heute Vormittag draußen warst", begann Magarete das Gespräch, als sie sich ein zweites Stück auf den Teller schob.
„Ach ja, Frau Lindner, ich glaube sie stand eben hinter der Tür und hat mich beobachtet.“
„Wahrscheinlich, das ist ihr einziges Hobby. Aber du musst sie auch ein bisschen verstehen. Seitdem ihr Mann in Rente ist, sieht sie ihn kaum noch. Ich glaube, ihr ist sehr langweilig und sie weiß sich nicht zu beschäftigen." Magarete nippte an ihrem Kaffee.
„Von meinen Eltern kenne ich das auch, dass sie wenig Zeit haben und viel unterwegs sind, aber sie sind meist zusammen unterwegs. Was macht denn Herr Lindner alleine?" Paula blickte Magarete an und ihr schoss durch den Kopf, dass sie ihre Neugier von ihrer Mutter geerbt hatte. Gegen die Gene konnte man nichts tun.
„So genau weiß ich das auch nicht, aber ich habe mal etwas von Jugendfußballtrainer gehört, Skatabende und im Sommer angeln."
„Hört sich fast an, als sucht er das Weite, um nicht zu Hause zu sein", bemerkte Paula trocken.
„Da scheint etwas dran zu sein." Magarete schmunzelte.
„Ich war heute Morgen übrigens spazieren und habe festgestellt, dass die Gegend hier wunderschön ist. Ich war im Park, die Sonne schien, herrlich. Außerdem fühle ich mich schon fast gesund."
„Deine Gesichtsfarbe spricht auch Bände, meine Liebe. Es freut mich, dass du dich so schnell erholt hast. Nächste Woche musst du zu deiner neuen Arbeit los, richtig?"
„Ja, dann habe ich leider nachmittags keine Zeit mehr, mit dir Kaffee zu trinken", bedauerte Paula aufrichtig.
„Was machst du eigentlich beruflich?"
„Ich werde bei einer Bank in der Kreditkartenabteilung arbeiten, direkt am Kunden. Es macht mir Spaß mit Menschen zu arbeiten. Ich bin gespannt auf meine neuen Kollegen." Paula sagte nicht, dass ihr deswegen schon etwas mulmig war.
„Das wird schon werden. Am Anfang ist es an einer neuen Arbeitsstelle immer nicht so leicht, da spreche ich aus Erfahrung."
„Was hast du gearbeitet? Und wo?"
„Ich war gelernte Köchin. Ich habe nach dem Krieg einige Jahre in Berlin als Köchin gearbeitet."
Überrascht blickte Paula sie an. „Berlin, wow, das hätte ich nicht gedacht. Erzähl doch bitte."
„Du musst dich noch etwas gedulden. Wir wollen doch nicht den Geschehnissen mehrere Jahre vorweg greifen, oder?"
„Oh, natürlich nicht. Aber Berlin, was für eine große Stadt, das muss der Hammer gewesen sein."
Magarete lachte. „Wenn man aus Lucklum kommt, war das wie eine andere Welt. Und für eine junge Frau war es damals ein großes Abenteuer." Magarete schwieg einen Moment. Ihre Erinnerungen wanderten zurück an die Zeit in Berlin. Sie seufzte einmal vornehm und blickte Paula dann an.
„Den Teil meiner Geschichte gibt es später. Wo war ich das letzte Mal stehen geblieben?"
Paula wusste, dass Magarete die Frage nur rhetorisch stellte,
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