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Lindenallee

Lindenallee

Titel: Lindenallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Rohde
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denn nach einem kurzen Augenblick des Überlegens, setzte sie ihre Erzählung an der Stelle fort, an der sie aufgehört hatte.
     
    Die Zeit verging, in unserem Dorf änderte sich nicht viel. Das Leben war geprägt durch lange Arbeitstage. Nur die Sonntage, die gehörten uns, nun ja, nach dem Kirchgang gehörte der Tag uns. Zur Kirche sind wir sonntags in die Ordenskapelle vom Rittergut gegangen. Dazu gingen wir durch das gusseiserne Tor des Rittergutes, durchschritten den Torbogen in den Innenhof und gelangten links in die Kirche. Wie oft bin ich den Weg gegangen, daran kann ich mich gut erinnern.
    Von außen betrachtet, ragte das graue aus groben Steinblöcken errichtete Gebäude kämpferisch in den Himmel. Oben auf thronte majestätisch ein schiefergedecktes Pultdach mit einer Zwiebelspitze, wie eine Krone.
    Im Inneren der Kirche hatte ich immer das Gefühl, dass die kassettierte Saaldecke mich förmlich zu erdrücken drohte. Vielleicht mochte ich einfach keine Kirchen, denn in meiner Vorstellung ließ sich Gott nicht in eine Kirche zwängen, sondern war überall um mich herum. War Gott nicht auch verantwortlich für den Wind, der die Äste der Lindenallee bewegte? Der Wind, der Veränderungen brachte?
    Eine Sache am Gottesdienst gab es allerdings, die ich sehr gerne mochte: Das war das Singen! Begleitet wurde der Gesang durch die Orgel, die von einem alten Mann aus dem Dorf bedient wurde. Er konnte virtuos auf ihr spielen. Die Predigten mochte ich weniger, denn meistens wurden die Menschen nur als Sünder dargestellt, die ihre gerechte Strafe von Gott erhalten würden. Furchtbar, was der schwarz gekleidete Mann oben auf der Kanzel für Predigten hielt. Ich kann nicht behaupten, dass er bei den Jüngeren sehr beliebt war, denn er verteufelte alles Moderne, wofür wir jungen Menschen uns interessierten. Das Radio zum Beispiel. Niemand im Dorf traute sich offen zuzugeben, dass eins zu Hause in der Küche oder im Wohnzimmer stand.
    Der Pastor änderte allerdings seine Meinung schlagartig, als die Nationalsozialisten den Volksempfänger für ihre propagandistischen Zwecke missbrauchten. Ab da sollte nämlich jeder Haushalt einen Volksempfänger stehen haben. Wir bekamen unser Radio 1938. Es war ein einschneidendes Erlebnis.
    Meine Mutter summte zu den Melodien, wenn sie in der Küche stand und Brot buk oder Essen vorbereitete. Offiziell hörten wir nur die deutschen Sender, aber wir empfingen auch die meisten ausländischen Radiosender und häufig lief bei uns das deutsche Programm der BBC.
    Das war verboten, denn die Nationalsozialisten wollten uns ihre Propaganda über das Radio eintrichtern.
    Seltsam eigentlich, so sehr ich mich bemühe, ich kann mich nicht daran erinnern, wie meine Eltern zu den Nationalsozialisten standen. Manchmal hörten wir die Eltern abends im Schlafzimmer reden, wir verstanden nie worüber, vielleicht hatten sie Angst und wollten uns Kinder verschonen. Schade, dass ich nie mit meinen Eltern darüber gesprochen habe. Als ich alt genug dazu war, war der Krieg vorbei und es herrschte Erleichterung darüber, dass die Nationalsozialisten weg waren. Man sprach nur wenig über die zurückliegende Zeit, andere Sorgen lasteten auf den Menschen. Oft genug ging es um das blanke Überleben. Aber jetzt greife ich der Zeit voraus, das kam erst viel später.
    Nach dem sonntäglichen Gottesdienst stieben wir jungen Menschen raus in die Freiheit. Heinz, Friedrich und ich überquerten die Dorfstraße und liefen in unsere Lindenallee. Der Herbst war da, die Blätter der Lindenallee schimmerten in der warmen Herbstsonne in gelben und orangen Tönen.
    Vor einer Woche war ich vierzehn Jahre alt geworden. Ich wusste, dieser Herbst würde etwas Besonderes für mich werden, denn meine Zeit an der Volksschule neigte sich dem Ende zu. Ein neuer Lebensabschnitt sollte im folgenden Jahr beginnen, denn ich erhielt eine Anstellung als Küchenhilfe auf dem Rittergut. Meine Eltern hatten es mir an meinem Geburtstag erzählt. Ich schwankte zwischen glücklicher Aufregung, meinem Bruder Heinz wieder näher zu sein und Furcht, weil ich über das Rittergut so viele unheimliche Geschichten gehört hatte.
    Ich vergaß schlagartig meine eigenen Sorgen, als an diesem Herbsttag Heinz von einem Ereignis berichtete, das weitreichende Folgen für mein Schicksal haben würde. Nur wusste ich es zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
    Es begann harmlos, indem uns Heinz eine Frage stellte. „Wisst ihr das von Peters Vater?"
    Friedrich

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