Lindenallee
selbstsicher erscheinen. Friedrich löste bei mir immer verwirrende Gefühle aus.
Mein Bruder Heinz kam kurz vor Beginn des Gottesdienstes herein und quetschte sich neben mich auf die Bank. Den tadelnden Blick meiner Mutter versuchte er mit einem Lächeln zu beschwichtigen. Nachdem die ersten Lieder gesungen waren, stupste mich Heinz mit dem Ellenbogen in die Seite. Ich sah ihn an und spürte, wie er mir etwas in die Hand schob. Ich blickte hinunter und entdeckte einen kleinen zusammengefalteten Zettel. So, als ob nichts wäre, richtete Heinz den Blick nach vorne und sang voller Leidenschaft, aber auch sehr schräg, das angestimmte Kirchenlied mit. Er beugte sich ein wenig nach vorne, so dass unserer Mutter, die neben ihm saß, die Sicht auf mich und meinem geheimnisvollen Zettel versperrt war.
Vorsichtig faltete ich den Zettel auseinander. Es standen nur ein paar Wörter darauf. „Nach dem Gottesdienst in der Allee? F." War ich vorher nur rot geworden, so war es jetzt sicherlich dunkelrot. Von hinten musste Friedrich sehen, wie mir die Röte den Hals hinaufkroch.
Ab dem Zeitpunkt bekam ich nichts mehr vom Gottesdienst mit, ich war wie paralysiert. Unruhig rutschte ich auf meiner Bank hin und her, bis es meiner Mutter zu viel wurde und mich ermahnte still zu sitzen. Es war unglaublich, wie langsam die Stunde verging. Die Minuten dehnten sich für mich gefühlt auf das Doppelte und Dreifache aus. Ich war noch nie besonders geduldig gewesen, ich wurde auf eine harte Probe gestellt.
Endlich wurde das letzte Lied angestimmt, die Kirchenglocken begannen zu läuten. Mir blieb nicht viel Zeit, denn unsere Familie würde geschlossen nach Hause gehen und dort den restlichen Abend gemeinsam begehen.
Ich erhob mich, Heinz tat es mir nach und verwickelte unsere Mutter geschickt in ein Gespräch, sodass ich unbemerkt aus der Reihe schlüpfen konnte und aus der Kirche hinauslief. Wenn ich Glück hatte, würden meine Eltern sich noch mit den Nachbarn aus dem Dorf unterhalten. Friedrich hatte ich auf seinem Platz nicht mehr gesehen, er musste vor mir hinausgegangen sein.
Ich überquerte die Straße vor der Kirche und eilte schnellen Schrittes auf die Lindenallee zu. Ich wusste, dass Friedrich ganz hinten am letzten Baum warten würde. Da war unser Lieblingsplatz.
Die Nacht war sternenklar, der helle Mond ließ die Winterlandschaft und den Schnee leuchten. Ich stapfte mit meinen Winterstiefeln durch den knöcheltiefen Schnee, mein Atmen hinterließ weiße Spuren in der Luft. Ich spürte die Kälte nicht, mein Körper schien zu glühen, ich war sehr aufgeregt.
Und da stand er. Er hatte sich an unseren Baum angelehnt und blickte mir entgegen. Ich verlangsamte meinen Schritt und blieb gut einen Meter vor ihm stehen. Er sagte nichts, sah mich nur an und lächelte geheimnisvoll. Das süßeste Lächeln für mich auf der Welt. Endlich brach er das Schweigen.
„Hallo Magarete. Frohe Weihnachten wünsche ich dir."
„Das wünsche ich dir auch, Friedrich."
Er sah mich so eindringlich an, dass ich wieder die Augen senken musste. Ich war vierzehn Jahre alt und in solchen Dingen sehr schüchtern.
Er trat näher an mich heran und nahm meine Hand. „Ich habe ein Geschenk für dich", sagte er. Sein warmer Atem streifte mein Gesicht. Ich sah zu ihm hinauf. Vor Überraschung fand ich keine Worte und sah ihn nur mit großen Augen an.
Wieder bekam ich etwas in die Hand gelegt: einen in dunklem Stoff eingewickelten Gegenstand. Neugierig begann ich den Stoff auseinander zu falten, meine Hände wurden ohne Handschuhe langsam steif in der Kälte, es dauerte eine Weile. Friedrich beobachtete mich aufmerksam, auf seinem Gesicht war gespannte Erwartung abzulesen.
Endlich hatte ich es geschafft. Etwas Glänzendes blitzte mir im Mondschein entgegen. Ich hob die Hand näher an meine Augen. Es war ein silbernes, filigran gestaltetes Herz, das an einer langen Kette hing.
„Wie wunderschön!" Verzückt hielt ich es hoch. Es begann sich zu drehen, der Mondschein ließ es wie einen Stern funkeln. „Danke Friedrich. So etwas Wunderschönes habe ich noch nie geschenkt bekommen." Langsam ließ ich die Hand mit dem Herz sinken.
„Ich habe gar nichts für dich", bedauerte ich zutiefst.
„Das macht doch nichts", flüsterte er. „Du hast mir ein großes Geschenk gemacht, wie du dich darüber freust. Ich möchte dir zeigen, wie gerne ich dich habe. Ich ..."
Wir wurden unterbrochen. Heinz stand am anderen Ende der Allee und pfiff das verabredete
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