Lindenallee
Frühstück mit vorbereiten. Das störte mich nicht im Geringsten, denn nun konnte ich mit Heinz zur Arbeit gehen, der ebenso früh im Stall anfing. Es war fast wie früher.
Auf dem Rittergut selbst war alles neu für mich. Ich musste die Arbeitsabläufe lernen, die Tagesplanung verinnerlichen und mich dort zurechtfinden.
Zum Glück hatte ich Heidemarie, eine Küchenhilfe wie ich, die aber schon gut fünf Jahre dort arbeitete. Heidemarie war ein herzensguter Mensch, Anfang zwanzig, kräftig gebaut, aber leider im Gesicht durch ein Feuer arg entstellt. Als kleines Mädchen hatte sie der Mutter helfen und die Asche aus dem Herd räumen wollen. Die Asche glühte aber noch und fiel ihr ins Gesicht. Daher die entsetzlichen Brandnarben. Heidemaries Mutter hat es sich nie verziehen, einen Moment nicht richtig aufgepasst zu haben.
Heidemarie half mir also in der Anfangszeit über so manche Schwierigkeit hinweg. Zuallererst lernte ich jeden Tag eine Menge über die Zubereitung von Essen. Bei meiner Mutter hatte ich mir viel abgeguckt, aber das war nicht ausreichend für die Herrschaften des Rittergutes. Sie aßen fein zubereitete Speisen und nicht wie wir Bauern deftig und rustikal. Ich ging sozusagen bei Heidemarie in die Lehre und lernte von der Pike auf. Heidemarie hatte sich ihr Wissen von dem Koch angeeignet, der seit einigen Jahren die Küche führte.
Otto, so hieß der Koch mit Vornamen und niemand nannte ihn anders, war ein umgänglicher Mann, dem es nichts ausmachte, sein Wissen weiterzugeben. Ein Glück für Heidemarie und letztendlich für mich, denn dort lernte ich die Grundlagen um ein schmackhaftes Essen zuzubereiten. Das sollte mir später, nach Kriegsende, von Vorteil sein und mir ermöglichen, die Welt außerhalb von Lucklum zu erkunden. Aber das geschah erst viel später.
Nach ein paar Wochen hatte ich mich gut auf der neuen Arbeitsstelle eingelebt und es gefiel mir ausgezeichnet. Die Arbeit ging mir leicht von der Hand und welch großer Vorteil, ich war nicht mehr wie bei der Feldarbeit Wind und Wetter ausgesetzt.
Die Herrschaften bekam ich so gut wie gar nicht zu Gesicht. Ich denke mir, das war auch gut so, nach den Geschichten, die man sich erzählte. Die Behauptung, der Herr sei ein Snob, war mir lebhaft in Erinnerung geblieben.
Aber es gab andere „Herrschaften", ein ganz besonderer Schlag von Menschen, die nicht wirklich Herren waren, aber sich so aufführten. Solch einen Herrn lernte ich schneller kennen als mir lieb war. Es handelte sich dabei um den Verwalter des Rittergutes, Hein Kummerlich.
Zu Beginn meiner Anstellung hatte ich Hein Kummerlich nur einmal kurz gesprochen und ich war froh darüber gewesen. Hein Kummerlich war ein grobschlächtiger, großer und lauter Mann. Er wirkte auf mich furchteinflößend. Er hatte seine Frau bei der Geburt der Zwillinge Marie und Trudel verloren, die nun von Friedrichs Mutter unterrichtet wurden. Über die Zwillinge gab es nie Beklagenswertes zu hören, zwei aufgeschlossene junge Mädchen von elf Jahren, die ihrem Vater zum Glück in keiner Charaktereigenschaft nachschlugen.
Denn das, was mir über ihren Vater zu Ohren kam, bereitete mir allmählich Sorgen. Ich wollte zunächst den Gerüchten keinen Glauben schenken. Erst nachdem Heidemarie mir ähnliches erzählte, wurde ich stutzig.
„Es stimmt was du gehört hast. Hein hat mir auch nachgestellt", erzählte Heidemarie, als wir einen Vormittag zusammen saßen und Kartoffeln schälten.
Ungläubig unterbrach ich meine Arbeit und sah sie an. „Was?"
„Ja, das hat er eine Zeitlang gemacht. Auch wenn ich ein entstelltes Gesicht habe", antwortete Heidemarie leicht trotzig.
„Ach Heidemarie, das meine ich doch nicht. Ich kann nicht glauben, dass die Gerüchte stimmen, die ich gehört habe, aber wenn du das sagst, muss es wahr sein." Ich setzte meine Arbeit beunruhigt fort.
„Sag ich doch. Warum meinst du hat er nicht wieder geheiratet? Hier arbeiten genug Frauen und wie man sich erzählt, hat er bei der einen oder anderen sogar Erfolg gehabt."
„Und bei dir?", fragte ich vorsichtig nach.
„Ha, der Hein mag zwar groß und stark sein, aber ich kann mich wehren." Heidemarie schälte die Kartoffeln weiter, die Schalen flogen nur so durch die Gegend. Ich verspürte eine gehörige Wut in ihr. „Ich konnte mich wehren, aber konnten die anderen das auch? Von zweien weiß ich, dass sie von einem auf den anderen Tag nicht mehr zur Arbeit erschienen sind. Ich hoffe nur, sie haben den Entschluss fassen
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