Lindenallee
können, bevor Hein ihnen auf die Pelle gerückt ist."
Mir wurde bei dem Gespräch mulmig zu Mute. Bislang hatte ich wie gesagt Hein Kummerlich kaum zu Gesicht bekommen. Was war aber, wenn ich das Opfer seiner Begierde werden würde? Ich schob die Gedanken rasch beiseite.
„Ich gebe dir den guten Ratschlag: halte dich so weit wie möglich weg von Hein. Du bist ein hübsches Mädchen, das wird ihm bestimmt irgendwann auffallen." Heidemarie warf die letzte geschälte Kartoffel ins Wasser und stand auf.
Ich blieb sitzen und sah zu, wie die Kartoffel zu den anderen hinabsank. In mir keimte ein Gefühl von Angst auf. Ich war nicht so stark wie Heidemarie. Ich war zwar nicht auf den Mund gefallen, aber würde das reichen?
Nach dem Gespräch achtete ich darauf, Hein Kummerlich nicht über den Weg zu laufen. Er kündete sein Herannahen meist durch laute Schritte und schnaufende Geräusche wie die einer Dampflok an. Ich verschwand jedes Mal in einen anderen Raum oder ging in eine andere Richtung. Die Wochen vergingen und mein Plan schien aufzugehen. Er kam mir nicht näher als zehn Meter, ich blickte ihm nicht in die Augen. Ich musste ein flüchtiger Schatten für ihn gewesen sein.
Vielleicht lief es zu glatt und ich wurde unvorsichtiger. Eines Morgens halfen wir die großen Bettlaken zusammenzulegen, die hinter den Gebäuden trockneten. Heidemarie und ich erzählten uns dabei lustige Geschichten und wir lachten viel. Die Sonne schien und der Sommer kündigte sich an. Der Wind ließ unsere Kleider flattern und unser helles Lachen drang bis zum Herrenhaus hinüber. Wir bemerkten nicht, wie sich hinter uns im ersten Stock ein Fenster öffnete. Wir legten unbekümmert weiter die Laken zusammen und stapelten sie in einem Korb. Als dieser voll war, trugen wir ihn in Richtung des Herrenhauses.
Da erblickte ich am Fenster ein grinsendes Gesicht! Mir gefror das Blut in den Adern, denn es war Hein Kummerlich, der dort stand und uns beobachtete. Ich spürte, wie er jede Bewegung von uns verfolgte. Sein Grinsen sprach Bände. Mit Schrecken vermutete ich, dass er mich das erste Mal richtig wahrgenommen hatte. Von nun an würde ich nicht mehr sicher sein.
Es begann bereits am nächsten Tag.
Früh morgens stand ich am Herd und briet Eier und Speck. Ich spürte seine Anwesenheit, bevor er einen Ton sagte. Meine Nackenhaare standen alarmiert ab, dennoch rührte ich betont gelassen mit dem Holzlöffel in der Pfanne und wartete. In mir war alles andere als Gelassenheit zu finden. Mein Blut raste durch den Körper, das Adrenalin hielt mich fluchtbereit. Aus den Augenwinkeln konnte ich Heidemarie sehen, die gespannt zu mir hinübersah.
„Guten Morgen die Fräuleins", dröhnte seine tiefe Stimme durch die Küche. Wohlerzogen mussten wir ihm antworten. Ich drehte mich dabei nicht um, sondern hielt meinen Blick starr gesenkt. Die lauten Schritte kamen auf mich zu und er blieb dicht hinter mir stehen. Meine bereits aufgerichteten Nackenhaare erzitterten vor Angst, als sein Atmen sie streifte.
„Das Fräulein Magarete ist fleißig. Das wird dem Herrn gefallen", polterte er hinter mir. Seine Lautstärke ließ mich erschrecken.
„Na na, wer wird denn so schreckhaft sein", amüsierte er sich über meine Reaktion. Dann wagte er es mich am Rücken zu berühren. Wie von der Tarantel gestochen sprang ich zur Seite und sah ihn erschrocken an.
„Was für ein schreckhaftes Rehlein", sagte er grinsend und drohte mir wieder näher zu kommen. Ich war wie versteinert, wusste mich nicht gegen diesen Berg von Mann zu wehren.
Die herzensgute Heidemarie kam mir zu Hilfe. Sie drängte sich mit einem Tablett dazwischen. „Magarete, bringst du bitte den Kaffee zu den Herrschaften, sie warten schon."
Hein Kummerlich reagierte auf die Störung zunächst überrascht, dann funkelte er Heidemarie böse an. Sie hielt dem Blick von Hein stand. „Los Magarete, worauf wartest du noch?", drängte sie mich zur Eile. Erleichtert erwachte ich aus meiner Erstarrung und verschwand mit dem Tablett. Ich war für dieses Mal entkommen.
Abends traf ich mich mit Friedrich in der Lindenallee, wo er meist schon auf mich wartete. Wir hatten leider nur eine halbe Stunde Zeit, dann musste ich nach Hause und meiner Mutter helfen. Aber diese halbe Stunde war kostbar für mich, darauf fieberte ich jeden Tag hin.
Diesen Abend kam ich aufgelöst bei Friedrich an. Er bemerkte es sofort und wollte wissen, was los sei. Ich berichtete über mein Zusammentreffen mit Hein Kummerlich.
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