Lindenallee
wunderbar. Gerade in solchen Dingen ist Hilfe von einem Fachmann das Beste, was es gibt. Nimm das an, Paula."
„Das habe ich heute schon mal gehört."
„Na also! Und jetzt hör auf zu grübeln, Paula. Ich bin mir sicher, das wird in die richtige Bahn gelenkt. Nimm doch noch ein Stück Kuchen, wenn du heute nicht mehr Auto fahren musst."
„Gerne." Paula griff zu, der Kuchen schmeckte köstlich. In der großen Birke ließ sich ein Vogel nieder und zwitscherte ein Frühlingsständchen. Paula genoss den Frühlingstag sichtlich und gönnte sich das dritte Stück Kuchen. Nach nun mehr drei Stück erachtete sie es an der Zeit, Magarete nach der Fortsetzung ihrer Lebensgeschichte zu fragen.
„Wie ist es weitergegangen? Mit dir und Friedrich? Wenn ich mich recht erinnere, hat er dir zu Weihnachten 1938 das silberne Herz geschenkt."
Magarete nickte.
Nach Weihnachten schwebte ich auf Wolke sieben. Die Welt um mich herum kam mir viel schöner und bunter vor, trotz des vielen Schnees und den ersten Anzeichen eines Krieges. Es war das Jahr 1939, in dem Jahr würde der 2. Weltkrieg ausbrechen.
Meine Oma hat mir seinerzeit vom ersten Weltkrieg erzählt und den damit verbundenen Schrecken. Ich konnte es nicht begreifen und fassen. Mein Opa ist damals im Krieg gefallen, ich kannte ihn nur von Fotos, die bei meiner Oma in der Schrankwand standen. Ich glaube, ich habe mich vor dem Anblick meines Großvaters gefürchtet, denn er wirkte sehr streng auf seine Betrachter.
Aber so, wie meine Oma von meinem Opa erzählte, funkelten ihre Augen liebevoll, wenn sie von seinem ansteckenden Lachen sprach. Und sie hatten gerne getanzt, bis ihnen die Füße wehtaten. Also kann mein Opa gar nicht so furchteinflößend gewesen sein, wie er auf den Fotos aussah.
Ich bin der Meinung, ein guter Fotograf sollte es schaffen, die Menschen glücklich abzulichten. Die Fotografien sind Erinnerungsstücke, die man sich gerne immer wieder ansieht. Lächelnde Gesichter vermitteln etwas von dem Glück, welches jeder Mensch einmal in seinem Leben erfahren hat.
Im Frühjahr 1939 besuchte uns unser Onkel aus Braunschweig. Er hatte vor Jahren eine Apothekertochter in Braunschweig geheiratet. Nachdem sein Schwiegervater gestorben war, führte er mit seiner Frau die Apotheke weiter. Im Vergleich zu uns lebten sie in bescheidenem Wohlstand, blieben allerdings kinderlos.
In diesem Frühling brachte mein Onkel seine neue Kamera mit. Das Fotografieren war eine große Leidenschaft von ihm. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ehrfurchtsvoll er von seiner Voigtländer sprach. Die Kleinbildkamera war neu auf dem Markt erschienen und funktionierte mit einem auf einer Rolle aufgewickelten Film. Mein Onkel war unglaublich stolz auf das Stück Technik, welches das Fotografieren deutlich vereinfachte.
Er streifte mit seiner Kamera umher und nahm zahlreiche Fotos auf. Besonders das Rittergut hatte es ihm angetan. Am liebsten wäre er in das Rittergut gegangen, aber dann hätte er die Herrschaften um Erlaubnis fragen müssen. Mein Vater riet davon ab, denn die Herrschaften mochten die gemeinen Städter nicht und hätten vermutlich keine Erlaubnis erteilt.
Eines Abends, vor seiner Abreise am nächsten Tag in die Stadt, stand er in der Lindenallee, bildete mit den Händen ein quadratisches Fenster und suchte nach einem geeigneten Motiv.
Friedrich, Heinz und ich saßen am Ende der Allee und spielten mit Murmeln. Mein Onkel schien das Motiv gefunden zu haben und baute in unserer Nähe sein Stativ auf. Er nahm die schwarze Kamera aus einer Tasche und stellte sie vorsichtig auf das Stativ. Er klappte die Linse heraus, beugte sich zum Durchsichtfenster hinab und nahm uns ins Visier. Neugierig standen wir auf.
„Fotografierst du uns?“, fragte Heinz meinen Onkel.
„Wenn ihr still halten könnt, mache ich Fotos von euch." Er kam aus seiner gebückten Haltung nach oben und strich sich über seinen gepflegten Schnauzbart, den er an den Ecken zusammengezwirbelt hatte.
„Das können wir", rief ich begeistert.
Friedrich stellte sich ein wenig abseits. Er hatte offensichtlich nicht vor sich fotografieren zu lassen. Mein Onkel indes gab Anweisungen, wie wir uns hinzustellen hatten. Er gab uns genaue Haltungen für Kopf, Arme, Beine und die Blickrichtung vor. Wir lachten viel, denn wir kamen uns wie berühmte Schauspieler vor, die abgelichtet wurden. Irgendwann wurde es mir aber zu bunt, das posieren war anstrengend. Ich stemmte die Hände in die Hüften, sah meinen
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