Lindenallee
einer seiner großen Hände zuzuhalten. Ich drehte schnell den Kopf zu Seite und sein Versuch schlug fehl. Ich schrie weiter wie am Spieß. Seine Wut wurde grenzenlos, er holte mit der Hand aus und schlug zu. Mein Kopf flog zu Seite, meine Lippe platzte auf, in meinem Ohr hallte der Schlag wie ein dumpfes Echo nach.
„ Wirst du aufhören zu schreien, du Schlampe.“ Er nahm mich wieder fester in den Griff und drängte sich gegen mich. Mir wurde speiübel, aber ich gab nicht auf. Ich schrie erneut. Niemals würde ich es zulassen, dass er sich ohne Gegenwehr an mir verging. Das hätte ich mir niemals verziehen. Er holte mit der Hand aus, ich sah den Schlag auf mich zu kommen, aber der Schmerz blieb aus.
Überrascht sah ich, wie Heinz dastand und die Hand von Hein mit aller Kraft abgefangen hatte. Hinter Heinz entdeckte ich verschwommen zwei weitere Stallknechte, die entsetzt das Geschehen verfolgten.
„ Was soll das, lass mich los!“, herrschte Hein meinen Bruder an.
„ Lass Magarete los!“
Der Tumult im Stall rief weitere Stallknechte auf den Plan. Langsam ließ Hein die Hand sinken. Er wurde sich bewusst, dass die steigende Zahl von Zuschauern und somit Zeugen des Vorfalls, für ihn nicht gut war.
„ Deine Schwester ist ein Miststück.“ Hein ließ mich los und spuckte mir zu Füßen. „Erst macht sie mich an und dann ziert sie sich. Diese Dirne, weiß doch jeder, dass sie sich an die Männer ranmacht“, zischte er Heinz ins Gesicht.
Ich stand zitternd da und war sprachlos wegen der Lügen, die Hein verbreitete. Seine Dreistigkeit war schier unglaublich.
„So sprichst du nicht von meiner Schwester, du bist ein Lügner, Hein Kummerlich. Wage es nie wieder Magarete anzurühren, sonst schlag ich dich tot!“ Heinz blickte Hein fest in die Augen, es war mucksmäuschenstill im Stall, selbst die scheuen Pferde verhielten sich ruhig.
Hein Kummerlich sah Heinz verächtlich an. Er setzte zu einer Erwiderung an, aber herannahende Schritte und die einsetzende Stimme von Herrn von Wegenstedt ließ ihn verstummen. Ich war selten so erleichtert, den Snob zu Gesicht zu bekommen.
„ Was ist denn hier los?“ Aufgebracht reckte er den Hals hinter den Stallknechten und versuchte herauszufinden, was sich dort abspielte. Die Jungen bildeten eine Gasse und ließen ihren Herrn durch.
Sekundenschnell schaltete Hein um. „Es ist nichts, Herr. Dieses dumme Ding hier“, dabei zeigte er auf mich, „ist einem Pferd zu nahe gekommen und da haben wir das Malheur.“ In seinen Augen leuchtete Triumph auf.
Der Snob trat an mich heran und betrachtete meine Blessuren im Gesicht. Ihn umwehte eine unangenehme Duftwolke von Rasierwasser. Ich hielt mir die Hand vor Mund und Nase, denn mir wurde schlecht.
„ Mädchen, sieh zu dir das Blut aus dem Gesicht zu waschen.“ Er rümpfte die Nase. „Der Stall ist für dich ab jetzt Tabu. Und dann zurück an die Arbeit.“ Er drehte sich zu den Stallknechten um. „Und ihr? Habt ihr nichts zu tun? Soll ich euch faules Gesindel bezahlen oder was?“
Die versammelten Jungen verließen eilig den Stall und gingen an ihre Arbeit zurück. Heinz blieb als einziger stehen. Fassungslos sah er von Hein Kummerlich, zum Snob und dann zu mir. Er konnte nicht glauben, wie Hein Kummerlich so einfach damit durchkam. Ich konnte es auch nicht fassen, aber trotz des schmerzenden Gesichtes und der ungeheuren Wut in mir, behielt ich die Nerven. Ich wusste, wir hatten keine Chance mehr, dem Snob die Wahrheit zu sagen.
Heinz setzte dennoch zu einem Versuch an. Ich schüttelte unmerklich den Kopf es nicht zu versuchen, denn diese Schlacht war verloren. Mein Bruder und ich hatten einen besonderen Draht zueinander, er bemerkte rechtzeitig mein Kopfschütteln und verstummte für einen Moment. Dann hob er den Kopf und sprach den Snob an.
„ Das ist meine Schwester. Ich bringe sie rüber in die Küche, damit sie sich dort um sie kümmern.“ Er nahm mich am Arm ohne eine Antwort abzuwarten.
„ Und dann zurück an die Arbeit oder soll ich dir diesen Tag vom Lohn abziehen?“, rief der Snob ärgerlich hinter uns her. Hein Kummerlich lachte darüber gemein, während Heinz mich in die Küche zurückbegleitete.
Heidemarie erblickte mich als erste und eilte erschrocken auf mich zu. „Was ist passiert?“
Mir liefen die Tränen in Sturzbächen hinab, ich war unfähig etwas zu sagen.
„ Hein Kummerlich.“ Heinz spie die Worte voller Abscheu aus. „Wenn ich nicht rechtzeitig dazu gekommen wäre, wer weiß
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