Lindenallee
zur Seite gelegt, das aber nicht reichen würde, um dauerhaft eine Wohnung bezahlen zu können. Der Zufall half uns, sorglos dem Winter entgegensehen zu können.
Eines Morgens schnappte ich in der Küche ein Gespräch zweier Köchinnen auf. Bei der Arbeit wurde viel geredet, um sich die Zeit zu vertreiben und das langweilige Kartoffelschälen oder rupfen des Federviehs unterhaltsam zu gestalten.
„ Es ist doch ein Glück, dass mein Bruder eine Stelle bei den Amerikanern bekommen hat, obwohl er einen Arm im Krieg verloren hat.“ Hilde, eine dünne schlaksige Köchin, sprach mit Isabelle, die das komplette Gegenteil von ihr war.
„ Was macht er?“ Isabelle rupfte energisch dem toten Huhn die Federn aus.
„ Er ist ausgebildeter Funker.“ In ihrer Stimme schwang Stolz mit.
„ Hatten die Amis keine Angst, er könnte ein ehemaliger Nazi sein?“ Die Frage klang beiläufig, erwies sich in der Nachkriegszeit dennoch als höchst brisant.
„ Nö, er hatte nie ein Parteibuch und war einfacher Soldat.“
„ Ach so.“ Vor Isabelles Füßen bildete sich ein kleiner Berg mit weißen Federn.
„ Wenn mein anderer Bruder nicht so ein Dummkopf wäre, könnte er ebenfalls hier arbeiten. Die Amis suchen Männer, die handwerklich etwas auf dem Kasten haben, aber mein Bruder hat zwei linke Hände.“ Betrübt blickte Hilde einen Moment von ihrer Arbeit auf. Isabelle zuckte mit den Schultern und sie wendeten sich einem anderen Thema zu.
Ich hatte genug gehört. Das war die Nachricht, auf die ich seit Wochen gehofft hatte. Abends rannte ich zu Heinz und berichtete ihm von diesem Gespräch.
Den nächsten Tag begleitete er mich zur amerikanischen Truppe. Nach einigem hin und her konnte er endlich bei dem Kommandanten vorsprechen.
Ich half Heinz mit der englischen Sprache aus, die ich nebenbei im Gespräch mit den anderen Frauen und den Angestellten aufgeschnappt hatte. Mit Händen und Füßen versuchte ich zusätzlich den Kommandanten zu überzeugen, wo mir die passenden Worte fehlten.
Meine Hartnäckigkeit zahlte sich aus und er bekam die Stelle auf Probe. Eine Woche lang musste er sich bewähren. Ich wusste, mein Bruder würde es schaffen, ich hatte großes Vertrauen in ihm. Die Arbeit entsprach genau seinen Fähigkeiten und Wünschen Er kniete sich richtig rein und so war es wenig verwunderlich, als er nach Ablauf der Probezeit eine unbefristete Anstellung bekam.
Er entdeckte seine Begeisterung für die Automobile der Amerikaner und lernte fleißig mehr über die Technik, die dahinter steckte, bis er die Autos selbst reparieren konnte. Das war ein großer Vorteil und er machte sich damit unentbehrlich.
Neben dem Autoreparieren lernte er Fahren, ganz ohne Fahrlehrer, in einem Selbstlernkurs. Zunächst auf dem Gelände der Amis, später auf der Straße. Eines Tages nahm er mich mit auf eine Tour durch die Stadt. Er lieferte Depeschen in den britischen Sektor aus und ich saß neben ihm. Ein aufregendes, berauschendes Gefühl, in einem Auto durch die Stadt zu fahren. Wir blendeten die kaputten Häuser aus und fantasierten die Stadt wäre intakt, so als hätte es nie einen Krieg gegeben. Ich winkte albern und hochherrschaftlich den Menschen an der Straße zu. Ich erntete dafür viele kopfschüttelnde Blicke und manch böses, hinterhergeworfenes Wort. Mir war es egal, wir benahmen uns wie Kinder und vergaßen für eine Weile alle Ängste und Sorgen.
Da wir nun beide Geld verdienten, konnten wir uns ein Zimmer in einem halbwegs heilen Haus leisten. Das Zimmer war im Vergleich zu meiner jetzigen Wohnung winzig. Es gab ein Waschbecken darin, ein Bett, in dem wir beide schliefen und einen Tisch mit zwei Stühlen. Die Toilette befand sich unten im Hof. Im Winter war es eiskalt und zog, im Sommer heiß und der Geruch erdrückend und übelriechend. Wir wohnten im dritten Stock. Des Nachts überlegte ich es mir zweimal, ehe ich die Stufen hinab in den dunklen Hof stieg. Zur Not half dann der Nachttopf aus, der unter dem Bett stand.
Dennoch ist mir diese Zeit, in der wir unter einfachsten Bedingungen lebten, in guter Erinnerung geblieben. Ich hatte eine Anstellung, ich lebte in einer großen Stadt, die ständig im Wandel begriffen war und in der der Wiederaufbau das all beherrschende Thema war. Wenn wir am Wochenende durch die Stadt streiften, gab es so viel zu entdecken. Es war aufregend und gar nicht mit dem Leben auf dem Land zu vergleichen. Mit Heinz an meiner Seite fand ich Gefallen daran.
Den Eltern schrieben wir oft
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