Lindenallee
Briefe, aber nur solche, die harmlos und zuversichtlich klangen. Gerade die ersten Wochen und Monate waren für uns nicht leicht gewesen und wir verschwiegen ihnen, wo wir genächtigt hatten oder dass uns der Hunger geplagt hatte. Sie sollten sich keine Sorgen um uns machen und sich vorwerfen, uns nicht energisch genug von unserem Vorhaben abgebracht zu haben.
Wir lebten uns in der Stadt gut ein und für mich hätte es ewig so weitergehen können. Natürlich wusste ich, dass nichts im Leben auf immer gleich bleibt. Ich hätte mir denken können, dass das Schicksal für mich und Heinz eigene Pläne bereithielt.
Anfang 1950 war es, als Heinz sich verliebte. Das sollte nicht alles sein, das zu dramatischen Veränderungen in meinem Leben führte.
Wir saßen eines Abends zusammen an dem kleinen Tisch und aßen kalten Braten und eine Scheibe Brot dazu. Ich kann mich daran noch genau erinnern, denn Braten hatten wir selten.
„ Du, Magarete“, begann Heinz. Ich wusste, wenn er so mit einem Satz startete, bekam ich etwas zu hören, was mir nicht gefiel. Ich legte meine Gabel zu Seite und starrte ihn an. Er bemerkte meinen Blick und schlug die Augen rasch nieder.
„ Bitte sieh mich nicht so an! Es fällt mir eh schon schwer, das zu sagen.“
„ Was ist?“
„ Du weißt ja, dass ich ganz gut mit dem Kommandanten kann, dem John Wilson.“ Heinz legte sein Besteck zur Seite und erwiderte meinen Blick. „Der Kommandant verlässt in gut drei Monaten Berlin.“
„ Das ist schade, er scheint mir ein netter Mann zu sein. Und erst recht seine Tochter Helen.“ Verschmitzt grinste ich ihn an, denn ich wusste, dass Heinz für sie schwärmte. Prompt wurde er rot.
„ Nun ja, sie ist wirklich sehr nett und gescheit ist sie auch. Von ihr lerne ich Englisch und kann schon recht viel“, rechtfertigte er sich ungeschickt.
„ Ja ja, kiss und love hast du zuerst gelernt“, lachte ich.
Heinz wurde purpurrot.
„ Magarete, musst du mich aufziehen?“, rief er verzweifelt.
„ Ja, es macht Spaß.“ Mir entging allerdings nicht, wie ernst er blieb. Mein Lachen erstarb, seine Ernsthaftigkeit beunruhigte mich.
„ Los Heinz Wagner, raus damit.“ Unbemerkt verkrampften sich meine Hände ineinander.
„ John hat mich gefragt, ob ich nicht mit ihm nach Amerika kommen möchte. Er kehrt zurück auf seine Ranch. Er schätzt meine Arbeit und wie gut ich mich mit Autos auskenne. Ich könnte ihm unter die Arme greifen.“ Fragend und gleichzeitig bittend sah er mich an.
Äußerlich wirkte ich ruhig, innerlich verkrampfte sich bei mir alles. Mein Magen schmerzte, viele Gedanken schossen mir durch den Kopf. Wirst du es alleine schaffen? Ganz auf dich gestellt? Dein Bruder und bester Freund wird nicht mehr an deiner Seite sein!
„ Magarete? Sag doch etwas!“ Bettelnd sah er mich an.
In mir tobte ein Kampf. Ich war das Zünglein an der Waage für sein Schicksal und seine Zukunft. Wenn ich nein sagte, würde er bei mir bleiben. Aber zu welchem Preis? Würde er mir nicht im Laufe der Zeit Vorwürfe machen, ich hätte ihn zurückgehalten? Wenn ich ja sagte, blieb ich alleine zurück. Davor hatte ich Angst, unbeschreibliche Angst. Mein Herz riet mir, sag nein und er bleibt bei dir. Mein Verstand sagte mir, lass ihn gehen und sein eigenes Leben leben.
Ich atmete langsam aus. „Heinz“, setzte ich mit ruhiger Stimme an, „du bist mein Bruder und treuer Weggefährte seit Jahren. Es wird mir unendlich schwerfallen, dich gehen zu lassen.“ Ich stockte und blickte tief in seine erwartungsvollen Augen. „Aber du musst deinen Weg machen. Gehe mit nach Amerika.“ Ich setzte ein Lächeln auf, welches mir verrutscht und unecht vorkam.
Heinz wirkte erleichtert und gleichzeitig traurig. „Du kannst mitkommen, Magarete. Ich frage John. Auf einer Farm gibt es immer viel zu tun. Und eine große Küche für die Angestellten haben sie bestimmt auch.“
Ich hob abwehrend die Hand. „Ich kann aus Deutschland nicht weg. Ich muss hier bleiben.“
„ Es ist wegen Friedrich, oder?“
Ich seufzte unglücklich. „Ja, ich werde nie die Hoffnung aufgeben, ihn wiederzusehen. Wenn ich ins Ausland gehe, wie sollen wir jemals wieder zusammenfinden können?“
„ Du hast Recht. So eine blöde Idee von mir. Ich gehe auch nicht, ich bleibe hier.“ Seine Stimme klang entschlossen.
Überrascht über seinen plötzlichen Sinneswandel, legte ich ihm eine Hand auf den Arm. „Heinz, du musst deinen eigenen Weg gehen. Unsere Wege trennen sich hier, aber im
Weitere Kostenlose Bücher