Lindenallee
Folter spannen? Das halte ich gleich nicht mehr aus!“ Paula verzweifelte fast.
„Ich konnte die Namen nur auf dem Kopf lesen. Ein Müller stach mir ins Auge, ein Schlegel und Ritter las ich. Ritter, sagte ich laut. Das erinnerte mich an meine Kindheit und als ich mit Heinz in der Lindenallee spielte. Ich sagte zu Schrater Junior, ich würde mit dem Namen Ritter nur etwas Gutes verbinden.“
Paula hielt den Atem an. Das hier war wieder ein Ereignis, welches kein Zufall sein konnte und ihr Schicksal in eine vorbestimmte Bahn lenkte.
Magarete sprach weiter. „Schrater Junior korrigierte mich. Es hieße Rittner, nicht Ritter. Mir war das egal. Ich fragte ihn, was das denn für Menschen seien, die hier einziehen wollten. Er antwortete mir, dass es nur eine Person sei und zwar eine junge Frau. Diese sei nicht selbst erschienen, sondern ihre Eltern. Diese hätten sich sehr ins Zeug für ihre Tochter gelegt, wie zuverlässig sie sei und sie eine Festanstellung bei einer Bank habe.“
Zufrieden lächelte Magarete. Sie beobachtete auf Paulas Gesicht eine Mischung von Erstaunen und freudiger Überraschung. Magarete fuhr fort. „Herr Schrater überlegte einen Moment und meinte, dass die Eltern sehr nett und unaufdringlich gewesen seien. Da könne der Apfel nicht weit vom Stamm fallen, schlussfolgerte er und wenn die Tochter so dringend eine Wohnung suche, wolle er ihr nicht im Weg stehen. Ich habe ihm spontan geraten, die Wohnung der jungen Frau zu geben. Und es hat sich als Glücksfall für das Haus und die Hausgemeinschaft erwiesen. Von mir gar nicht zu sprechen.“
Paula war sprachlos. Mit offenem Mund blickte sie Magarete bewegt an.
„Du kannst den Mund wieder schließen Paula“, lachte Magarete leise.
„Ich fasse es nicht“, stammelte Paula. „Bevor wir uns überhaupt kannten, hast du schon Gutes für mich getan.“
„Ach, was“, winkte Magarete ab.
„Doch doch, nicht so bescheiden. Ohne mich zu kennen, hast du ein gutes Wort für mich eingelegt. Und als ich eingezogen war, hast du mich die ersten Tage aufopferungsvoll gepflegt und mir das Gefühl gegeben, hier zu Hause zu sein. Ich weiß gar nicht, wie ich mich bei dir bedanken soll“, krächzte sie mit belegter Stimme.
„Paula, du brauchst dich nicht bei mir zu bedanken. Ich habe viel Freude an deiner Gesellschaft. Du bist für mich wie eine Enkelin. Leider habe ich keine Kinder bekommen können.“ Traurig blickte Magarete auf ihre Hände hinab, die in ihrem Schoß ruhten.
Paula horchte auf. „Wie, Kinder? Hast du denn geheiratet?“
Magarete sah Paula erstaunt an.
„Natürlich war ich verheiratet. Mein Hannes ist leider vor siebzehn Jahren gestorben.“
„Ich dachte nur, na ja, weil Friedrich deine große Liebe war, dass du nie einen anderen Mann haben könntest.“
„Ach Paula, du musst noch viel über das Leben lernen. Kein Mensch sollte alleine leben.“ Magarete straffte die Schultern. „Ja, ich habe geheiratet. Es war nicht die große Liebe wie mit Friedrich, es war anders. Mein Hannes wusste immer, dass ich ihn sehr gerne hatte, ihn aber nicht so lieben konnte, wie er es sich wünschte. Wir führten eine gute Ehe, aus der wie gesagt leider keine Kinder hervorgingen. Wir haben eine Menge erlebt und gesehen, das hat uns sehr verbunden. Als er starb, war mir mein Herz sehr schwer. Ich vermisste ihn und unser gemeinsames, alltägliches Leben. Er war ein guter Mann gewesen. Gott hab ihn selig.“
Paula lauschte schweigend Magaretes Worten. Sie brauchte einen Augenblick, um ihre Gedanken in Worte zu fassen. „Ich glaube, im Moment kann ich mir gar nicht vorstellen, ein anderer Mann könnte den Platz von Markus einnehmen. Ich dachte immer, er sei mein Leben und wir würden gemeinsam alt werden. Wie kann ich je wieder so tief Vertrauen fassen und mich auf eine neue Beziehung einlassen, von der ich hoffen kann, sie wird Jahre und Jahrzehnte überstehen?“ Paula sah Magarete erwartungsvoll an und hoffte, von ihr eine Antwort auf ihre Zweifel zu erhalten.
„Es tut mir leid, wenn ich dir kein Patentrezept geben kann. Lass dir Zeit. Lass die Wunden verheilen und gehe mit offenen Augen durch die Welt. Dein Glück wartet auf dich, warte nicht zu lange und schnapp im richtigen Moment zu.“
„Was ist aber, wenn das einzige Glück schon dagewesen ist? Was ist, wenn es nichts Vergleichbares mehr gibt? Was ist …?“
Magarete unterbrach Paula sanft. „Im Moment zweifelst du, das kann ich verstehen. Glaube mir, es wird ein Tag kommen, an
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