Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)
Tatzen zusammen, schoben eine Stange zwischen ihnen durch und stiegen, unter dem Gewicht des schweren Tierkörpers schwankend, auf den Grund der Schlucht, auf das glatte zwei Meter dicke Eis, das noch nicht getaut war. Wir schleiften den Bären bis an die Schwelle unserer Hütte.
Der zwei Monate alte Welpe, der in seinem kurzen Leben noch keine Bären gesehen hatte, verzog sich unters Bett, wahnsinnig vor Angst. Das Katzenjunge verhielt sich anders. Wie toll stürzte es sich auf den Bärenkörper, dem wir zu fünft das Fell abzogen. Das Kätzchen riß Stücke des warmen Fleischs heraus, langte nach Tropfen geronnenen Bluts, tanzte auf den knotigen roten Muskeln des Tiers ...
Das Fell maß vier Quadratmeter.
»Das sind bestimmt zwölf Pud Fleisch«, sagte der Koch zu jedem.
Die Beute war reich, doch weil wir sie nicht abtransportieren und verkaufen konnten, wurde sie sofort zu gleichen Teilen geteilt. Kessel und Pfannen des Geologen Filatow brodelten Tag und Nacht, bis er sich den Magen verdarb. Jushikow und Kotschubej, die sich überzeugt hatten, daß Bärenfleisch zum Einsatz im Kartenspiel nicht taugt, salzten jeder sein Teil in mit Stein ausgelegten Gruben ein und gingen täglich hin und prüften seine Unversehrtheit. Der Koch versteckte das Fleisch an einem unbekannten Ort – er kannte ein Geheimnis des Einsalzens, aber weihte niemanden darin ein. Und ich fütterte das Kätzchen und den Welpen, und wir drei wurden mit dem Bärenfleisch am besten fertig. Die Erinnerungen an die erfolgreiche Jagd hielten für zwei Tage vor. Zu streiten begannen sie erst am dritten Tag, gegen Abend.
‹1956›
Das Kollier der Fürstin Gagarina
Die Zeit im Untersuchungsgefängnis rutscht durchs Gedächtnis und hinterläßt keine merklichen und markanten Spuren. Für alle sind das Untersuchungsgefängnis, die Begegnungen, die Menschen dort nicht das Wichtigste. Das Wichtigste, das, wofür man im Gefängnis alle seelischen, alle Geistes- und Nervenkräfte verausgabt, ist der Kampf mit dem Untersuchungsführer. Was in den Kabinetten des Verhörblocks stattfindet, prägt sich stärker ein als das Gefängnisleben. Kein einziges Buch, das du im Gefängnis liest, bleibt dir im Gedächtnis – nur die »Dauer«-Gefängnisse waren eine Universität, aus der Sterndeuter, Romanciers und Memoirenschreiber hervorgingen. Die Bücher, die du im Untersuchungsgefängnis liest, bleiben dir nicht im Gedächtnis. Für Krist spielte nicht das Duell mit dem Untersuchungsführer die wichtigste Rolle. Krist verstand, daß er verloren war, daß die Verhaftung Verurteilung, Geopfertwerden bedeutet. Und Krist war ruhig. Er hatte sich die Fähigkeit zu beobachten bewahrt, die Fähigkeit bewahrt, gegen den einschläfernden Rhythmus des Gefängnisregimes zu handeln. Krist war oftmals einer unheilvollen menschlichen Gewohnheit begegnet: das Wichtigste von sich zu erzählen, dem Nachbarn – dem Zellennachbarn, dem Bettnachbarn, dem Mitreisenden in der Eisenbahn – sein ganzes Ich zu erzählen. Diese Geheimnisse, auf dem Grund der menschlichen Seele bewahrt, waren manchmal erschütternd und unglaublich.
Krists Nachbar zur Rechten, ein Mechaniker aus einer Fabrik in Wolokolamsk, erklärte auf die Bitte, sich an das herausragendste Ereignis in seinem Leben zu erinnern, an das Beste, was in seinem Leben passiert war – und dabei strahlte er von der durchlebten Erinnerung – er habe 1933 auf Lebensmittelkarten zwanzig Dosen Gemüsekonserven erhalten, und als er sie zu Hause aufmachte, war in allen Dosen Fleisch und in keiner einzigen Gemüse. Im Gefängnis lacht man nicht über solche Erinnerungen. Krists Nachbar zur Linken, der Generalsekretär der Vereinigung der politischen
katorga
-Häftlinge, Aleksandr Georgijewitsch Andrejew, zog die silbernen Brauen über der Nasenwurzel zusammen. Seine schwarzen Augen blitzten.
»Ja, so einen Tag gibt es in meinem Leben – der 12. März 1917. Ich bin ein Lebenslänglicher der zaristischen
katorga
. Und das Schicksal wollte es, daß ich den zwanzigsten Jahrestag dieses Ereignisses hier im Gefängnis begangen habe, mit Ihnen.«
Von der Pritsche gegenüber stieg ein wohlgestalteter und rundgesichtiger Mann.
»Erlauben Sie mir, mich an Ihrem Spiel zu beteiligen. Ich bin Doktor Miroljubow, Walerij Andrejewitsch.« Der Doktor lächelte schwach und kläglich.
»Setzen Sie sich«, sagte Krist und machte Platz. Das war sehr einfach – man mußte nur die Beine unterschlagen. Anders konnte man keinen Platz machen.
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