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Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Titel: Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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schwer zu trinken an. Und einmal fiel er von der Brücke mit dem Kopf voraus in die Kolyma, doch er wurde gerettet und gab seinen wichtigen Aufseherdienst nicht ab. Ergeben schleppte er Wäschebündel in die Wäscherei, ergeben fegte er das Zimmer und wechselte die Vorhänge an den Fenstern.
    »Na, wie ist das Leben?«, fragte Krist Chabibulin – immerhin taten sie hier seit mehr als einem Jahr gemeinsam Dienst.
    »Schlecht ist das Leben«, seufzte Chabibulin.
    Der kleine General reiste an. Die Arbeit der Geologen lief vorzüglich. Froh und lächelnd machte der General seine Runde durch das Gefängnis der Geologen. Der General erhielt für ihre Arbeit eine Auszeichnung.
    Chabibulin stand an der Schwelle stramm und verabschiedete den General.
    »Nun, gut, gut. Ich sehe, sie haben keine Scherereien gemacht«, sagte fröhlich der kleine General. »Und ihr«, der General wandte den Blick den an der Schwelle stehenden Aufsehern zu, »ihr geht höflicher mit ihnen um. Sonst hau ich euch kurz und klein, Kanaillen!«
    Und der General entfernte sich.
    Chabibulin erreichte schwankend die Aufnahme, nahm bei Krist eine doppelte Portion Baldrian und schrieb einen Rapport über seine sofortige Versetzung auf eine beliebige andere Arbeit. Er zeigte Krist den Rapport und suchte Mitgefühl. Krist versuchte dem Aufseher zu erklären, daß diese Geologen dem General wichtiger sind als Hunderte Chabibulins, doch der in seinen Gefühlen verletzte Oberaufseher wollte diese einfache Wahrheit nicht verstehen.
    Die Geologen waren eines Nachts verschwunden.
    1965

Bären
    Das Katzenjunge kam unter dem Liegebett hervor und konnte gerade noch rechtzeitig zurückspringen – der Geologe Filatow hatte einen Stiefel nach ihm geworfen.
    »Was wütest du so?«, sagte ich und legte einen speckigen Band »Monte Christo« zur Seite.
    »Ich mag keine Katzen. Das hier ist etwas anderes.« Filatow zog einen grauen, wuscheligen Welpen an sich und klopfte seinen Hals. »Ein reiner Schäferhund. Beiß es, Kasbek, beiß«, der Geologe stachelte den Welpen gegen das Katzenjunge auf. Doch auf der Welpennase waren zwei frische Kratzer von Katzenkrallen, und Kasbek knurrte nur dumpf, aber rührte sich nicht.
    Das Kätzchen hatte bei uns kein Leben. Fünf unbeschäftigte Männer ließen an ihm ihre Langeweile aus – das Flußhochwasser verzögerte unsere Abreise. Jushikow und Kotschubej, die Zimmerleute, spielten schon die zweite Woche Sechsundsechzig um ihren künftigen Lohn. Das Glück war wechselhaft. Der Koch machte die Tür auf und brüllte:
    »Bären!« Alle stürzten Hals über Kopf zur Tür.
    Also, wir waren fünf, und ein Gewehr hatte nur einer – der Geologe. Beile gab es nicht für alle, und der Koch steckte ein Küchenmesser ein, scharf wie ein Rasiermesser.
    Die Bären liefen den Bergbach entlang – Männchen und Weibchen. Sie rüttelten und knickten junge Lärchen, rissen sie mitsamt den Wurzeln aus und schleuderten sie in den Bach. Sie waren allein auf der Welt in diesem Tajga-Mai, und die Menschen kamen von der Windschattenseite sehr dicht an sie heran – auf zweihundert Schritt. Der Bär war braun mit rötlichem Schimmer und doppelt so groß wie die Bärin, schon ein Alter, die großen gelben Eckzähne waren gut zu sehen.
    Filatow, unser bester Schütze, hockte sich hin und stützte das Gewehr auf den Stamm einer umgestürzten Lärche, um aufgelegt und sicher zu schießen. Er bewegte den Lauf hin und her und suchte einen Weg für die Kugel zwischen den Blättern der gelb werdenden Büsche.
    »Schieß«, knurrte der Koch mit vor Eifer bleichem Gesicht, »schieß!«
    Die Bären hörten ein Geräusch. Sie reagierten sofort, wie ein Fußballer im Spiel. Die Bärin hetzte den Berghang hinauf, auf die andere Seite des Passes. Der alte Bär floh nicht. Die Schnauze der Gefahr zugewandt und die Eckzähne fletschend, lief er langsam über den Berg, zum Gestrüpp der Krummholzbüsche. Er nahm sichtlich die Gefahr auf sich, er, das Männchen, opferte sein Leben, um die Freundin zu retten, er lenkte den Tod von ihr ab, er deckte ihre Flucht.
    Filatow schoß. Er war, wie ich schon sagte, ein guter Schütze – der Bär stürzte und rollte den Abhang hinab in die Schlucht, bis eine Lärche, die er vor einer halben Stunde im Spiel geknickt hatte, seinen schweren Körper aufhielt. Die Bärin war längst verschwunden.
    Alles war so riesig – der Himmel, die Felsen –, daß der Bär wie ein Spielzeug aussah. Er war auf der Stelle tot. Wir banden ihm die

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