Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)
Zeitung heraus, schlug sie auf und las die Adresse.
Ich klingle ... Klingle. Der Lakai. ›Wegen des Kolliers‹. Der Fürst selbst kommt heraus. Und dann seine Frau. Zwanzig Jahre alt war ich damals. Zwanzig Jahre. Die Versuchung war groß. Eine Probe auf alles, womit ich groß geworden war, was ich gelernt hatte ... Ich mußte in diesem Augenblick entscheiden – bin ich ein Mensch, oder bin ich kein Mensch. ›Ich gebe Ihnen sofort das Geld‹, das war der Fürst. ›Oder möchten Sie vielleicht einen Scheck? Setzen Sie sich.‹ Und die Fürstin steht dabei, zwei Schritt von mir. Ich setzte mich nicht. Ich sagte, ›ich bin Student. Ich bringe das Kollier nicht wegen der Belohnung‹. ›Ach so ist das‹, sagte der Fürst. ›Verzeihen Sie. Ich bitte zu Tisch, frühstücken Sie mit uns.‹ Und seine Frau, Irina Sergejewna, küßte mich.«
»Fünftausend«, sagte der Mechaniker aus Wolokolamsk bezaubert.
»Eine harte Probe«, sagte der Generalsekretär der Vereinigung der politischen
katorga
-Häftlinge. »So habe ich auf der Krim meine erste Bombe geworfen.«
»Dann verkehrte ich ständig beim Fürsten, beinahe jeden Tag. Ich verliebte mich in seine Frau. Drei Sommer nacheinander bin ich mit ihnen ins Ausland gefahren. Schon als Arzt. Und so habe ich nicht geheiratet. Habe mein Leben als Junggeselle verbracht wegen dieses Kolliers ... Und dann – die Revolution. Der Bürgerkrieg. Im Bürgerkrieg lernte ich Putna gut kennen, Vytautas Putna . Ich war sein Hausarzt. Putna war ein guter Kerl, aber natürlich nicht Fürst Gagarin. Ihm fehlte ... das gewisse Etwas. Und so eine Frau hatte er auch nicht.«
»Sie sind einfach zwanzig Jahre älter geworden, zwanzig Jahre älter als der ›
gaudeamus
‹.«
»Vielleicht ...«
»Und wo ist Putna jetzt?«
»Militärattaché in England.«
Aleksandr Georgijewitsch, der Nachbar zur Linken, lächelte.
»Ich denke, der Schlüssel zu Ihren Kalamitäten, wie Musset sich auszudrücken beliebte, ist eben in Putna zu suchen, in diesem ganzen Komplex. Hm?«
»Aber wie?«
»Das müssen Sie die Untersuchungsführer fragen. Bereiten Sie sich vor auf eine Schlacht im Zeichen Putnas – das ist der Rat eines alten Mannes.«
»Sie sind doch jünger als ich.«
»Jünger oder nicht, in mir war einfach weniger ›
gaudeamus
‹ und mehr Bombe«, lächelte Andrejew. »Wir wollen uns nicht streiten.«
»Und Ihre Meinung?«
»Ich stimme Aleksandr Georgijewitsch zu«, sagte Krist.
Miroljubow wurde rot, aber beherrschte sich. Im Gefängnis entflammt ein Streit wie Feuer im trockenen Wald. Und Krist wie Andrejew wußten das. Miroljubow mußte das erst noch erfahren.
Es kamen ein Tag und ein Verhör, wonach Miroljubow zwei Tage auf dem Gesicht lag und nicht zum Spaziergang ging.
Am dritten Tag stand Walerij Andrejewitsch auf und kam zu Krist, er faßte sich an die geröteten Lider seiner blauen schlaflosen Augen. Er kam und sagte:
»Sie hatten Recht.«
Recht hatte Andrejew gehabt, und nicht Krist, aber hier gab es eine Feinheit im Eingestehen eigener Fehler, eine Feinheit, für die Krist wie Andrejew ein genaues Gespür hatten.
»Putna?«
»Ja. Es ist alles entsetzlich, zu entsetzlich.« Und Walerij Andrejewitsch begann zu weinen. Zwei Tage hatte er sich zusammengenommen und es doch nicht ausgehalten. Weder Andrejew noch Krist mochten weinende Männer.
»Beruhigen Sie sich.«
In der Nacht wurde Krist von Miroljubows heißem Geflüster geweckt:
»Ich sage Ihnen alles. Ich werde ganz sicher sterben. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich bin der Hausarzt von Putna. Und jetzt verhören sie mich nicht zum Wohnungsdiebstahl, sondern – schrecklicher Gedanke – zur Vorbereitung eines Anschlags auf die Regierung.«
»Walerij Andrejewitsch«, sagte Krist und gähnte, um wach zu werden. »In unserer Zelle werden ja nicht nur Sie dergleichen beschuldigt. Da liegt Ljonka, der nicht lesen und schreiben kann, aus dem Kreis Tuma im Moskauer Gebiet. Ljonka hat Schraubenmuttern im Eisenbahngleisbett losgedreht. Für Angelblei, wie der Tschechowsche Übeltäter. Sie sind doch stark in der Literatur, in all diesen ›
gaudeamussen
‹. Ljonka wirft man Sabotage und Terror vor. Und keinerlei Hysterie. Und neben Ljonka liegt ein Dicker – Woronkow, Chefkoch im Café Moskau, dem ehemaligen Puschkin auf der Strastnaja, waren Sie dort? Anfangs war dieses Café in Brauntönen gehalten. Woronkow sollte abgeworben werden ins Praga am Arbatplatz – dort war Filippow Direktor. In Woronkows Akte
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