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Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Titel: Linksaufsteher: Ein Montagsroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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Gehts noch schneller? In der Rock-Disko wäre doch jetzt längst schon die Schmuseballade dran gewesen. Diese Textilgeschäft-DJs haben es einfach nicht drauf. Ich probiere fix ein paar Tanzschritte durch, die bei dem Tempo funktionieren, und fege sofort nach draußen, nachdem ich einen gefunden habe … Boa. Anstrengend. Der Schweiß beginnt zu rinnen, aber die Leute mögen es. Konzentrieren die sich überhaupt noch auf die Hose? Tobi, mach mal was …  
    Nein, die Hose fällt wieder durch. Erst als ich wieder in der Kabine bin und sie ausziehe, bemerke ich die hässlichen künstlichen Knitterfalten links und rechts vom Schritt. Wo die Pariskinder recht haben, haben sie recht. Johnny Ramone hat sich bestimmt gerade im Grab herumgedreht.  
    Meine nächsten Hosenpräsentationsmusiken sind »Rockin’ all over the World« von Status Quo, »Living on a Prayer« von Bon Jovi und dann – endlich was Langsames – irgendeine Ballade von Gianna Nannini. Bei meiner Show stimmt alles, die Leute klatschen, pfeifen und johlen. Nur die Hosen fallen alle durch.  
    Zum Glück sind wenigstens drei Mädchen dabei, die allmählich beginnen, den Job ernst zu nehmen. Sie haben Tobi gesagt, dass er sitzenbleiben soll, und schwärmen selber zum Hosenfischen aus. Bei der ersten, die ich der Menge zu »Jukebox Hero« von Foreigner präsentiere, lagen sie noch knapp daneben. Dann aber die nächste! Schon beim Reinschlüpfen zu »Jump« von Eddie van Halen habe ich ein gutes Gefühl. Ich bündele meine letzten Kräfte und komme pünktlich zum ersten JUMP! mit dem größten Satz des Tages durch den Vorhang gesprungen und schüttele unter tosendem Applaus meine imaginäre Mähne. Die weitere Choreografie ist klar. Während der Strophe schonen und alles, was man hat, in den Refrain legen.  
    Und, tatsächlich, das Wunder geschieht. Der Song ist noch nicht einmal halb vorbei und alle drei Modechefinnen der Klasse 12b heben die Daumen. Ich mache einen extra hohen JUMP! und fange an, langsam Richtung Kasse zu rocken. Die Meute folgt mir johlend und die angerückten Sicherheitsleute rücken scheu zur Seite. Wirklich schade, dass Amelie uns nicht sehen kann. Der letzte Refrain beginnt. Jetzt das große Finale. Haben die Leute sich redlich verdient. Ein paar verwegene Drehungen, ein paar überraschende Ausfallschritte, und jetzt …  
    JUMP!  
    Ich springe mit einem Höllenspagat über einen Garderobenständer hinweg und lande weich und sicher wie Sven Hannawald auf beiden Füßen … Also, das war zumindest der Plan. In der Ausführung war es dann doch mehr so, dass ich auf den Garderobenständer gesprungen bin. Noch bevor ich etwas fühle, kann ich an den Gesichtern meiner Fans erkennen, dass ich mit meinem Schritt genau auf der Stange gelandet sein muss. Während mein » ARGH !« im Raum nachhallt, kippt der Ständer langsam um. Ich kippe mit ihm und versinke in einem riesigen See aus Schmerz, Kleiderbügeln und Langarm-T-Shirts.  
    ***  
    Eigentlich wollten mich die Sicherheitskeiler sofort rausschmeißen. Erst als sie mich bis zum Ausgang geschleppt hatten und die Alarmanlage losging, haben sie geschnallt, dass ich eine noch nicht bezahlte Hose anhatte. Dann haben sie gefühlte fünf Stunden untereinander diskutiert und ihre Funkgeräte befragt, und mich irgendwann endlich zur Kasse getragen und mich samt Ware auf den Tisch gelegt. Das Label wurde eingescannt und Tobi hat, unter ständigem Beteuern, dass er sonst nichts mit mir zu tun hätte, bezahlt. Ich kann nur hoffen, dass Gras über die Sache gewachsen ist, wenn ich in drei oder vier Jahren wieder eine neue Hose brauche.  
    Den versprochenen Fastfoodrestaurantbesuch haben wir wegen Schmerzen und Erschöpfung meinerseits verschoben, aber wir werden es auf jeden Fall machen. Schließlich, da gibt es nichts, hat mir Tobi bravourös zu einer neuen Hose verholfen, die über jeden Zweifel erhaben ist. Ich meine, hey, eine ganze Horde von Pariser Teenagern hat dem Kauf zugestimmt. Und wirklich, sie sitzt wie eine zweite Haut. Nicht zu eng, nicht zu weit, nicht zu hell, nicht zu dunkel und nicht zu pobetont, nicht zu sackartig. Einfach die Hose, die Oliver Krachowitzer erst richtig zu Oliver Krachowitzer macht.  
    Inzwischen bin ich endlich wieder zu Hause. Ich habe das gute Stück ausgezogen und über meinen Stuhl gehängt, um es zu schonen. Mein Schritt tut immer noch genauso weh wie im ersten Moment nach dem Sprung. Ich versuche ein weiteres Mal, meinen Universalplan für die

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