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Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Titel: Linksaufsteher: Ein Montagsroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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nö, und dafür gebe ich ein Vermögen für Schaumwein aus?«  
    »Tschuldigung.«  
    »Bei der nächsten Hose will ich eine klare Meinung hören. In Gedichtform.«  
    Die hier war eh nichts. Trotz 34 viel zu eng. Ich brauche eine kleine Ewigkeit, bis ich mich da wieder rausgeschält habe … Wow, jetzt »Sharp dressed Man« von ZZ Top. Das ist ein Zeichen. Die nächste Hose ist es. Ganz bestimmt. Noch mal reinhüpfen versuchen … Warum klappt das eigentlich nie? Ich lasse es jetzt lieber. Die Nähte haben schon so komisch gekracht. Ein Bein nach dem anderen …  
    They come runnin’ just as fast as they can  
    Coz’ every girl’s crazy ’bout a sharp dressed man!  
    »Ha!«  
    Ich bin durch den Vorhang gesprungen und habe eine vollendete Hacken-Pirouette vor Tobis Nase gedreht. Als ich zum Stehen komme, sehe ich hinter Tobis Nase Tobis Gesicht. Hinter Tobis Gesicht etwas Luft. Und hinter der Luft ist …  
    »Darf ich vorstellen, die Klasse 12b aus dem Lycée Victor Hugo, Paris, derzeit auf Klassenfahrt in Berlin.«  
    Gold watch, diamond ring  
    I ain’ missin’ not a single thing  
    And cufflinks, stick pin  
    When I step out I’m gonna do you in …  
    Sie starren mich an. Sie starren mich einfach an.  
    »Schau nicht so verstört, Krach. Wenn die nicht wissen, welche Hose richtig ist, wer dann? Paris, Stadt der Mode, Stadt der Liebe, knickknack?«  
    »Welches Arrondissement?«  
    »Keine Ahnung. Hey, stell dir einfach vor, die Jungs und Mädels sind alle Amelie, okay?«  
    Es ist sowieso alles zu spät. Ich tue das Einzige, was man tun kann, wenn einen eine Wand aus 20 Teenagern anstarrt. Das einzig Richtige. Das absolut, ohne Alternative einzig Richtige.  
    Ich tanze weiter.  
    Natürlich könnte man behaupten, das einzig Richtige wäre gewesen, mit einem Hechtsprung wieder in der Kabine zu verschwinden und den Vorhang mit beiden Händen zuzuhalten, bis kein einziger Banlieue-Teenager mehr dahinter lauert, aber in solchen Lagen greifen einfach meine alten Bühnenreflexe. Die Schüler geben erste Zeichen des Gefallens von sich. Ich bleibe in Bewegung und drehe mich. Aber was meinen sie mit ihren Gefall-Zeichen? Die Show oder die Hose?  
    »Pst, Tobi, finden die jetzt die Hose gut?«  
    »Ich frag mal … Est’ce que vous aimez le pantalon?«  
    Die Gesten und Geräusche sind eindeutig: non. Tobi hält ein paar von den anderen Hosen hoch, die er zusammengeklaubt hat. Die Klassenfahrer suchen mit großem Hallo die nächste aus und drücken sie mir in die Hand. Schade, dass ich kein Jedi-Ritter bin. Wenn ich jetzt mit einem Rückwärtssalto über die Vorhangstange wieder in der Kabine verschwinden würde, könnte ich punkten ohne Ende. So muss ich meinen Abgang mit Moonwalk-Schritten bewältigen, was zwar nicht ganz zu »Sharp dressed Man« passt, aber trotzdem sehr effektvoll daherkommt.  
    Kaum ist der Vorhang zu, schwinge ich meine Beine in die nächste Hose. Pünktlich zum Beginn des Gitarrensolos stürze ich wieder auf die Bühne. Die Paris-Kids sehen zu, wie ich meiner Luftgitarre zeige, wer der Boss ist. Einige beginnen zu headbangen, aber die meisten konzentrieren sich zum Glück doch auf den Sitz meiner Hose, deren Knie ich gerade einem bösen Härtetest durch eine Runde Über-den-Boden-Rutschen unterziehe.  
    Tobi hockt etwas abseits auf einem Stuhl und entspannt sich. Erst als das Solo zu Ende ist, steht er auf und bittet um das Urteil. Wieder negativ. Ich kriege die nächste Hose gereicht, widerstehe dem Drang, es doch mit einem Rückwärtssalto zu probieren und verschwinde stattdessen mit ein paar Angus-Young-Hüpfern wieder hinter dem Vorhang. Mal sehen, was als Nächstes kommt … Nein! Suzie Quatro? Das machen die nur für mich, oder? Noch die richtige Stelle abgewartet …  
    The 48 crash come like a lightning flash …  
    … jetzt der Sprung durch den Vorhang.  
    48 crash! 48 crash! 48 crash! 48 crash!  
    Zum ersten Mal spontaner Applaus. Ich glaube, es sind inzwischen noch mehr Leute geworden. Ich drehe mit lässigen Rockerschritten eine Runde durch den zum Glück recht großzügig bemessenen Umkleidengang, wackele mit dem Hintern und klatsche die Hände ab, die mir hingestreckt werden. Tobi steht wieder von seinem Stuhl auf und schaut fragend in die Runde. Nein? Die Hose taugt auch nichts? Verdammt, die wollen doch nur, dass die Show weitergeht.  
    Ich bin wieder in der Kabine … Nein! Jetzt läuft »Sheena is a Punk Rocker« von den Ramones!

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