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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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nur das ergibt einen Sinn, und so niederträchtig das auch sein mag, diese Vorstellung ist leichter zu ertragen als die, dass es die Jungs waren.
    »Ich hab sie hinten ganz kurz gemacht. Du brauchst nur ein bisschen Gel oder Schaum und dann …«
    Ich habe nie Gel oder Schaum benutzt, als sie lang waren. Nur meinen Kamm oder eine Bürste. Hundert Striche jeden Abend und jeden Morgen. Jetzt ist das überflüssig. Und Mutter erst … Sie wird triumphieren. Es wird ihr eine helle Freude sein, mich so zu sehen.
    Jules’ Augen schimmern weich, als er mein Spiegelbild betrachtet. Dann streckt er sich wohlig, garniert mit einem herzhaften Gähnen.
    »Danke, Jules. Sieht klasse aus«, lüge ich. »Gute Nacht.«
    Und jetzt? Wieder zu Falk? Ja, ich muss zu Falk. Ich war außer Rand und Band, als ich zu Jules gerannt bin – und ich habe ihm, aufgelöst, wie ich war, von meinem Verdacht erzählt. Ich muss erfahren, wie er darüber denkt.
    Ohne anzuklopfen oder etwas zu sagen, schiebe ich mich zu ihm ins Zimmer und stelle mich vor den Schrank. Er sitzt auf dem Bett, Lunas Kopf auf seinen Beinen, als hätte er die vergangene halbe Stunde nichts anderes getan, als hier auf mich zu warten. Erst jetzt fällt mir auf, dass er statt eines Pyjamas dunkelblaue Skiunterwäsche trägt, unter der sich so ziemlich alles abzeichnet, was ein Mann an Extremitäten zu bieten hat. Wahrscheinlich schläft er normalerweise nackt. Was in dieser Eiseskälte nur jemand tut, der suizidale Absichten hegt.
    Er betrachtet mich ausführlich, die dichten Brauen leicht zusammengeschoben, und lässt ein anerkennendes Brummen ertönen. »Nicht schlecht. Gar nicht schlecht …«
    »Und, welcher von den Beatles bin ich?«, frage ich säuerlich.
    »Keiner. Jetzt siehste eher aus wie eine indianische Punkerin. Gefällt mir.«
    »Lüg nicht, Falk, hier wird schon genug gelogen.« Ich weiß, dass er meine langen Haare mag. Mochte. Mochte … Warum sonst sollte er mich Schneewittchen genannt haben? Und warum sonst hat er sie in dieser einen Nacht immer wieder in die Hände genommen und durch seine Finger gleiten lassen, als würden sie ein Geheimnis bergen, das sich nur dann ergründen ließ, wenn man sie berührte?
    »Ich lüge nicht. Ich finde es sogar besser als vorher.«
    »Warum denn das?« Jetzt muss er sich aber ein paar gute Argumente einfallen lassen.
    »Man sieht deinen Hals, den Schwung deines Nackens … Du hast sie doch eh immer zum Zopf getragen.« Nein, in dieser Nacht nicht, Falk. »Sie haben gar nicht zu dir gepasst, so lang und glatt und brav. Das hier, das ist viel eher Linna.«
    Ich höre ihm zu, wie man jemandem zuhört, der einem von der eigenen Wiedergeburt als strahlender Prophet zur Rettung der Menschheit erzählt, die irgendwann in ferner Zukunft stattfinden wird. Seine Worte haben nichts mit mir zu tun und erst recht nichts mit meinen Gefühlen. Entweder er lügt wie gedruckt oder ich irre mich in allem, was ich bisher glaubte. Meine Haare waren Linna. Lang und seidig. Nicht dieser schräge, wilde Schopf, der mich nun ziert. Obwohl ich das in den Augen der anderen womöglich bin. Schräg und wild.
    »Offizielle Version: Ich habe mir die Haare selbst abgeschnitten. Klar? Ich war es und Jules hat es vollendet. Nichts anderes ist passiert.«
    Falk zuckt mit den Schultern. »Ist das denn so abwegig?«
    Die Kraft, die ich eben bei Jules gesammelt habe, verpufft mit einem Atemzug. Warum glaubt mir nie jemand? Jetzt zweifelt auch Falk wieder an dem, was ich sage. Aufgebracht drehe ich mich von ihm weg und schlage meine flachen Hände gegen den Schrank, dann meine Stirn, jeder körperliche Schmerz ist besser als der, der in meinem Herzen wütet, und vor allem besser als diese grenzenlose Ohnmacht …
    »He, so war’s nicht gemeint. Linna. Aufhören. Du tust dir weh. Ich glaub dir, dass du es nicht warst.« Im nächsten Moment finde ich mich an seiner Brust wieder, klein und elend, was ich nicht will, doch ich habe ihm nicht viel entgegenzusetzen. Er streicht mir über den Rücken, wie er Luna streichelt, bedächtig und gelassen zugleich, fast ein wenig mechanisch. »Ich glaub dir ja. Trotzdem würde es zu dir passen, das selbst getan zu haben.«
    »Nein! Nein, verdammt. Meine Haare waren … sie waren mein Schatz, meine Weiblichkeit, niemals würde ich sie abschneiden, nie!«
    »Deine Weiblichkeit?« Ich habe mich von Falk gelöst, sodass ich ihn ansehen kann, während sein leicht belustigter Blick über meinen Körper wandert. »Weiblichkeit

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