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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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sie kurz haben, aber cool, und so wie es im Moment ist … das ist nicht cool, oder?«
    »Nein«, bestätigt Jules matt. Er ist restlos überfordert. Aus schmalen, verquollenen Augen blinzelt er mich an. »Gar nicht cool. Was hast du dir dabei gedacht?«
    »Na ja … Mir gingen meine langen Haare auf den Keks, ständig waren sie im Weg und dann hab ich spontan meinen Zopf genommen und ihn abgeschnitten.«
    Nein, einer von euch hat es getan. Deine eigene Frau. Aber das wirst du mir niemals glauben und Simon erst recht nicht. Selbst mir fällt es schwer. Ich versuche, in Jules’ Gesicht zu lesen, doch es liegt im Halbdunkel und es gelingt mir nicht, die Regungen darin zu sortieren. Eine Weile starrt er mich schweigend an, in der Hoffnung, aus diesem seltsamen Traum zu erwachen und sich umdrehen und weiterschlafen zu können.
    »Jetzt sofort?«, fragt er gähnend. »Können wir das nicht morgen machen?«
    »Jetzt. Bitte. Bitte, Jules …«
    »Wenn es unbedingt sein muss.« Seufzend schiebt er seine Beine unter der Decke hervor. »Schere?«
    »Was?«
    »Wo ist deine Schere?«
    Oh nein. Darüber habe ich nicht nachgedacht. Ich habe keine gute Schere dabei. Nur eine Nagelschere. Ablehnend schüttele ich den Kopf und fühle mich einen Moment lang völlig wirr. Jetzt geht es mir wie Jules eben noch, ich glaube erneut, in einem schlechten Traum festzuhängen.
    »Nein, nicht meine Schere. Die hat das alles angerichtet.« Ich versuche mich an einem Grinsen und deute auf meinen Pilzkopf. »Ist nur eine Nagelschere … Hast du nicht was Besseres? Oder du scherst mir eine Glatze, das geht auch.«
    »Ich glaub, du bist nicht ganz sauber«, brummt Jules. »Glatze …« Er stellt sich an sein Waschbecken und beginnt mit dem Rücken zu mir in seinem Kulturbeutel zu kramen, ein schwarzledernes Ding, in dem man locker eine Katze verstecken könnte. Er muss eine Schere haben.
    »Wie mutig bist du?« Er dreht sich um und hält eine Rasierklinge in die Luft. »Das ist das Schärfste, was ich habe. Eine Glatze schere ich dir nicht, ich weigere mich. Aber damit kann ich versuchen, eine Frisur draus zu machen.«
    »Bitte, versuche es«, sage ich würdevoll und bringe mich auf dem einzigen Hocker im Zimmer in Position. Ich kann nur beten, mich in seinem Talent nicht geirrt zu haben und dass er nicht so niederträchtig ist, den Schaden noch schlimmer zu machen, als er bereits ist. Aber dieses Risiko muss ich jetzt eingehen.
    Ergeben schließe ich die Augen und überlasse mich seinen Händen, höre dabei zu, wie die Klinge eine Strähne nach der anderen durchtrennt, ein Geräusch, das mir in der Seele wehtut. Es wird luftiger auf meiner Stirn und noch kühler in meinem Nacken, als es ohnehin schon war. Zwischendurch fährt Jules mit der flachen Hand durch meinen Schopf, mal nach links, dann nach rechts, als wolle er sein Kunstwerk überprüfen, und jedes Mal wird mir dabei so kalt, dass ich meine Zähne zusammenbeißen muss, um nicht am ganzen Leib zu erzittern. Ich sehe etwas, was du nicht siehst …
    Jetzt verreibt er Gel in seinen Händen, ein Zupfen hier, ein Wuschein da, zum Schluss ein festes Streichen gegen die Wuchsrichtung auf meinem Nacken.
    »Fertig. Willst du es dir nicht ansehen? Linna?«
    Ich öffne meine Augen und gehe hinüber zum Waschbecken, um in den Spiegel zu schauen.
    »Oh. Wow. Du bist gut.« Jules hat sich selbst übertroffen. Vom Pony sind nur noch ein paar fedrige Strähnen übrig, die Jules lässig in die Stirn gezogen hat, der Rest ist asymmetrisch und stylish, am Hinterkopf stehen die Haare ab wie bei einem Wiedehopf. Ich möchte immer noch die Zeit zurückdrehen, um wach zu bleiben und meine lange, schimmernde Pracht zu behalten, die ich so sehr liebte, aber immerhin ist das hier eine Frisur – eine Frisur, die niemandem gelingen wird, wenn er sich nachts an das Bett einer Schlafenden schleicht und ihren Zopf absäbelt. Das, was ich auf dem Kopf habe, sieht wie Absicht aus. »Sehr cool. Danke.«
    Jules blickt zufrieden neben mir in den Spiegel. Trauert er meinen Haaren gar nicht hinterher? Oder hat er gewusst, dass sie abgeschnitten werden sollen? War es vielleicht ein gemeinsamer Plan, ein weiterer Teil meiner Strafe? Nein, ich kann nicht glauben, dass er mir erst von Mina erzählt, so traurig und einsam, und dann in mein Zimmer schleicht und mir den Zopf abschneidet. Das wäre in höchstem Maße verhaltensgestört. Denn Jules ist sichtlich stolz auf sein spätnächtliches Werk. Es muss Maggies Tat gewesen sein,

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