Linna singt
fahren meine Hände über meinen Kopf und meinen Nacken, ich kann nicht damit aufhören. Doch mit jedem Tasten und Fühlen wird dieser Albtraum wirklicher.
»Linna.« Falk greift nach meinen Händen und versucht, sie von meinem Kopf zu ziehen. »Lass mich mal gucken. Hey …« Er schließt meine Finger fest in seine, sodass ich sie nicht mehr bewegen oder gar hochnehmen kann. »Oh shit. Shit …«
Shit ist ein zu harmloses Wort. Es ist eine Katastrophe, deren Ausmaß niemand verstehen wird. Ich beiße mir auf die Unterlippe, um mein Schluchzen zu mäßigen.
»Du siehst aus wie einer von den Beatles. Und das warst nicht du, das war …?«
»Wieso sollte ich denn so etwas machen? Warum? Ich hab sie geliebt, ich hab meine Haare geliebt, jahrelang hab ich um sie gekämpft, bis ich sie endlich wachsen lassen durfte, und jetzt … jetzt …« Ich schüttele den Kopf. Es fühlt sich anders an als vorher, kahl und ungeschützt. »Wer war es, Falk? Weißt du etwas? Sag es mir!«
»Linna, ich …«
»Es war Maggie, oder? Maggies Idee? Sie war immer neidisch auf meine Haare, sie dachte, dass man alle Männer kriegt, wenn man solche Haare hat wie ich, und dass … dass …«
Das habe ich ja auch, denke ich bestürzt. Meine Haare waren mein Männermagnet. Und noch heute Nacht hat Maggie mich dabei ertappt, wie ich mit gelöstem Haar aus Jules’ Zimmer kam. Vor wenigen Stunden erst … Hat ihre blinde Eifersucht sie zu dieser Tat getrieben? Wie sehr muss sie mich hassen!
»Maggie? Aber warum … warum … Nee«, unterbricht Falk sich selbst. »Linna, beruhig dich doch mal … Liebes …«
Er will mich zu sich ziehen, um mich in den Arm zu nehmen, doch ich stemme die Fäuste gegen seine Brust und reiße mich los, das geht jetzt nicht, keine Zärtlichkeiten, solange ich derart abstoßend aussehe. Ich kann so nicht bleiben. Keine weitere Minute lang. Lieber trage ich eine Glatze wie Sinéad O’Connor als diese Missgeburt von Frisur. Mit der Heulerei ist jetzt Schluss, ich muss etwas unternehmen.
»Wo willst du hin? Linna, mach keinen Scheiß.«
»Ich mache keinen Scheiß«, zische ich aufgebracht und drehe mich zu ihm um, die Hand auf der Türklinke. »Ich mache hier am allerwenigsten Scheiß von allen, klar?«
»Was willste denn tun? Wieder runter ins Dorf laufen? Nachts?« Seine Sorge wirkt echt. Einen Moment lang möchte ich mich in seine Arme flüchten und festhalten lassen, bis alles wieder gut ist, doch das ist ein unerreichbares Luftschloss. Nichts wird wieder gut, nur weil ich mich in den Arm nehmen lasse.
»Nein. Ich geh rüber zu Jules.« Ich ziehe die Nase hoch und richte mich auf. Haltung bewahren, Linna.
»Zu Jules«, wiederholt Falk rätselnd.
Ja, genau, ich gehe zu Jules. Jetzt erst recht.
»Linna, hey, warte! Komm danach noch mal zu mir, okay? Ja?«
Ich werde dein »Hey« und dein »Shit« und dein weiches, verschliffenes »Okay« vermissen, denke ich, als ich sachte an Jules’ Tür klopfe und die letzten Tränen herunterschlucke. Irgendwann werde ich es vermissen. Mit dem Ärmel meines Pyjamas wische ich die Nässe von meinem Gesicht; an meiner verstopften Nase kann ich auf die Schnelle nichts ändern. Doch verschnupft darf ich sein. Immerhin habe ich in den Köpfen der anderen Halsschmerzen. Ich muss jetzt nach vorne denken und Schadensbegrenzung betreiben, in jeder Hinsicht.
Nach dem zweiten Klopfen trete ich ein, obwohl keine Aufforderung ertönt, und knipse das Licht an. Gott sein Dank, Jules ist immer noch hier und nicht drüben bei Maggie, aber es leuchten keine blauen Sterne mehr an der Decke und den Wänden. Ich habe keine Ahnung, wie spät es ist, wahrscheinlich bereits gegen Morgen.
»Jules.« Er ist noch damit beschäftigt, wach zu werden, und ich sehe seinem verschlafenen Blick an, dass er überlegt, ob er träumt oder das alles tatsächlich erlebt. Umständlich richtet er sich auf und kratzt sich am Kopf. »Du musst mir helfen. Ich wollte mir die Haare abschneiden, aber irgendwie … ist es völlig danebengegangen und jetzt will ich nicht mehr weiter dran herumschnipseln. Kannst du probieren, das irgendwie zu retten?«
»Ich soll … was?« Seine Stimme ist dunkel vor Müdigkeit. »Was hast du, du hast … Hä?«
»Meine Haare. Ob du etwas daraus zaubern kannst?« Wer Bühnenbilder, Lightshows und eine eigene »Mr Hollywood« -Aura entwerfen kann, kann auch Frisuren retten. Jules hatte immer ein Näschen für Styling und Optik. Er muss das jetzt tun. »Bitte, Jules, ich möchte
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