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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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anderen folgt mir mit Sicherheitsabstand in die Stube, wo ich mich an den Tisch setze, als hätten wir eben lediglich ein Eichhörnchen beim Verstecken seiner Nüsse beobachtet. Vielleicht hegen sie die Hoffnung, dass ich ihnen ein paar brisante Details verrate, aber die können sie sich in den Hintern schieben. Ich habe das Rätsel gelöst, fertig. Das Spiel ist aus.
    Sie wussten es ja sowieso, einer von ihnen muss es gewusst oder geahnt und es ausgeplaudert haben, was mich im Grunde nicht wundert, denn in einer Stadt wie Speyer gibt es kein Arztgeheimnis. Irgendeiner tratscht immer.
    Drei, notiere ich im Geiste. Es waren drei Strafen. Das Verschwinden meiner Sachen, die Haare, die Schmiererei an der Wand. Vier, wenn man Jules’ Ausraster dazuzählt. Ich habe mein Fett wegbekommen. Sie sollen sich endlich dazu bekennen, wenigstens das. Sonst passiert noch ein Unglück.
    Als sich niemand zu mir setzt, sie alle nur stehen bleiben und mich anglotzen, als sei ich eine Ausgeburt der Hölle, springe ich mit Hackenden Sohlen auf den Tisch und noch in der gleichen Bewegung auf den Boden. Es ist so still, dass wir hören können, wie ein Holzscheit im Ofenfeuer in sich zusammenfällt und zischelnd verglüht. Langsam gehe ich auf Maggie zu, bis ihr Gesicht in meinem Schatten liegt, und schaue direkt in ihre aufgerissenen Augen. Nun sag es schon. Sag, dass du es warst. Gib es zu!
    »Linna …«, murmelt Simon mahnend, doch ich kann ansehen, wen ich will und wie ich will. Jetzt darf ich alles.
    Bevor die Tränen sie überwältigen können, dreht Maggie sich um und nimmt Reißaus. Wir hören nur noch, wie ihre Tür zuklappt, doch Jules kapiert schnell. Aufschluchzend rausrennen und die Tür zuschlagen bedeutet: Komm mir nach und kümmere dich um mich. Grundkurs Ehelatein. Tobi bleibt wie ein Häufchen Elend am Ofen stehen, unschlüssig, wen von uns er überhaupt noch anschauen darf. Falk hat sich hinter mir postiert, Simon vor mir, als wollten sie mich einkesseln. Simon tritt einen umsichtigen Schritt auf mich zu, dann noch einen. Der traut sich was.
    »Wenn du das warst mit der Schmiererei da oben, Lavinia, dann …«
    Er kann nur noch gurgelnd aufkeuchen, als ich ihn am Kragen packe und mit voller Wucht gegen die Spüle drücke. Fuchtelnd suchen seine Hände nach Halt.
    »Pass mal auf, mein Lieber«, sage ich leise, mein Gesicht so dicht vor seinem, dass ich das Zucken in seinen Augen sehe. »Bisher habe ich euch Frieden gegönnt, aber ihr könnt auch Krieg haben, und dann wird es richtig unangenehm. Hast du das verstanden? Ob du das verstanden hast?«
    »He, Linna … Linna!« Falk greift nach meinen Schultern, um mich wegzuziehen, doch ich stoße ihm so fest meinen Ellenbogen in den Bauch, dass er zurückschreckt und nach Luft schnappt. Ich entscheide, wann ich Simon freigebe, und niemand anderes.
    Ich drücke Simon noch ein, zwei Sekunden gegen die Spüle, während seine Beine schon nachgeben, bis ich meine Hand schlagartig löse. Hustend und mit erhobenen Armen hastet er zur Tür. Erst als er stolpert und beinahe auf die Knie fällt, begreife ich, was ich getan habe, und fahre aufstöhnend herum.
    »Simon, es tut mir leid, ich wollte das nicht … es tut mir leid!«, rufe ich ihm hinterher, aber seine Tür ist zugefallen, er hört mich nicht mehr. Rückwärts tapse ich dem Tisch entgegen und lasse mich auf die Eckbank sinken; plötzlich wackeln meine Knie, ich kann nicht mehr stehen. Ausatmend verberge ich mein Gesicht in den Händen. Ich höre nur noch, wie Falk den Raum verlässt, nicht durch den Flur, sondern nach draußen in die klirrende Kälte, wo er sofort Schnee zu schippen beginnt, ein Geräusch, das mich als Kind immer glücklich gemacht hat, wenn ich davon geweckt wurde. Ich mochte Schnee und es ertönte selten genug. Doch jetzt empfinde ich es als aufreibend und anklagend gleichermaßen.
    Das Rascheln der Eckbankkissen verrät mir, dass Tobi sich an den Tisch gesetzt hat und zu mir herüberrückt. Er ist der Einzige, der geblieben ist. Unbeholfen streicht er über meinen Arm, doch ich lasse mein Gesicht in meinen Händen.
    »Du … Sollen wir uns zusammen in die Sauna setzen und ein bisschen reden?« Ich spüre seinen warmen Atem auf meinem Hals. Er ist ganz nah.
    »Geh und zünde ein paar Teelichter an, aber lass mich in Frieden!«, raunze ich ihn hinter meinen Händen an, gedämpft, aber dennoch so scharf im Ton, dass er sofort aufsteht und mich allein lässt. Sorry, Tobi, es geht nicht. Ich kann das nicht.

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