Linna singt
unbedingt wissen willst: Ja, ich habe diese Schere immer in meinem Kulturbeutel.«
»Wozu? Wozu brauchst du so eine Schere?«
»Ich schneide damit Haare«, erwidert Falk trocken. Das war anzunehmen. Meine oder seine? Doch korrekt müsste es heißen: Ich schneide mir damit die Haare. Und seine Haare sind lang. Er muss sie nicht nachschneiden. Was er erzählt, ist Quatsch.
»Nicht auf dem Kopf. Sondern hier«, erklärt er und deutet auf seinen Schritt. »Ich mag keinen Kahlschlag, aber Urwald muss auch nicht sein.«
»Ich glaube dir nicht«, sage ich schwach und starre immer noch auf die kurzen braunen Haare, die an dem geriffelten Metall haften. Es sind Falks Schamhaare. Ich schaue auf eine Schere mit Falks Schamhaaren an der Klinge. Oh mein Gott.
»Glaub es«, entgegnet er entspannt und schiebt den Bund seiner langen Unterhose nach unten. Lautlos gleitet die Schere aus meiner Hand, fällt herab und trifft meinen linken großen Zeh, doch ich verspüre keinerlei Schmerz. Ja, ich sehe es. Ordentlich gestutztes Haar auf brauner Haut. Nicht zu viel, nicht zu wenig. Und darüber eine nette Landebahn bis zum Bauchnabel. Ich schließe für drei Sekunden die Augen und öffne sie wieder. Gut. Der Bund der schrecklichen langen Unterhose ist wieder dort, wo er hingehört. Ich habe genug gesehen.
»Gute Nacht« ist alles, was ich an verständlichen Worten hervorbringen kann, bevor ich mit wallendem Puls nach nebenan in mein Zimmer gehe, wo ich mitten im Raum stehen bleibe, um meine Gedanken einzufangen und wieder zur Räson zu bringen.
Das ist alles immer noch kein Beweis. Es ist kein Beweis! Falk kann es trotzdem gewesen sein. Doch diese Geste gerade eben – sie hatte etwas so Offenherziges, Flirtendes und zugleich Freches, dass mein Herz ihm nicht mehr misstrauen will. Mir entfährt ein glucksendes Kichern, als ich mich aufs Bett lege und in meine Decke wickele. Falk Lovenstein stutzt sich das Schamhaar mit einer Friseurschere. Eine sehr eigenartige Mischung aus komisch und sexy. Nun habe ich wieder ein neues Bild im Kopf, das ich nie haben wollte und nicht mehr vergessen werde: Falk, wie er samt Hündin vor mir auf dem Bett sitzt und vollkommen ungeniert den Bund seiner langen Unterhose herabschiebt.
Beim früheren Falk wäre das undenkbar gewesen. Ach, fast alles, was hier geschieht, wäre früher undenkbar gewesen. Ich muss mich ausruhen, um Klarheit zu erlangen und zu ordnen, was ich erfahren habe. Falk findet Jules verdächtig; glaubt, dass er etwas verbirgt, unter Umständen sogar auf mich steht. Das ist immerhin eine Neuigkeit. Jules hat heute Abend – ich kann kaum glauben, dass es nur wenige Stunden zurückliegt – selbst angedeutet, nicht alles sagen zu können. Er verbirgt also ein Geheimnis. Falk sieht das genauso.
Ich darf mir jetzt keinen Fehler erlauben. Ich weiß mehr als vorher und doch weiß ich gar nichts. Gähnend nehme ich mir vor, jede der denkbaren Varianten noch einmal einzeln zu durchleuchten und sie anschließend gegeneinander abzuwägen.
Doch sobald meine Augen zufallen, fühle ich nur eines, und das so deutlich und intensiv, dass kein Platz für etwas anderes bleibt, nicht für Traurigkeit, nicht für Wut und erst recht nicht für neue Gedankentürme. Ich spüre meine verweinte Wange an Falks warmer Brust. Nichts sonst. Nur das.
Und es ist mehr, als ich ertragen kann.
AMAROK
Als ich zum Frühstück in die Stube komme, sehe ich sofort, dass es einen von uns erwischt hat. Simon. Mit schlaffen Schultern und in sich gekehrtem Blick sitzt er am Tisch, vor sich eine Tasse Tee, die Hände dieses Mal nicht an den Schläfen, sondern flach auf seinen Wangen. Sein Kopf kommt ihm so schwer vor, dass er ihn stützen muss. Doch vor allem erkenne ich an Maggie, dass er krank ist. Es fehlt nur noch, dass sie sich ein Stethoskop um den Hals hängt und ein Krankenschwesterkostüm überzieht. Im Flüsterton redet sie auf ihn ein, als wolle sie ihn überreden, jetzt bitte endlich einen Schluck von seinem Tee zu trinken. Ihre gesamte Haltung strotzt vor Fürsorge »Guten Morgen!«, rufe ich laut und lasse meine Augen sofort unbeteiligt zum Fenster hinausschweifen, als die Blicke der anderen sich auf mich richten. Mein Scannen hat genügt, um zu sehen, dass wir vollständig sind. Jules und Tobi bereiten das Frühstück, Falk sitzt mit dem Rücken zu mir am Tisch und blättert in einem Bündel Noten. Maggie opfert sich für Simon auf. Müsste sie nicht als Erstes zu mir aufsehen, wenn sie es war, die mich
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