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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Maggie gerade an ihrem schlechten Gewissen zugrunde und ihre Betüddelei ist eine reine Übersprunghandlung? Ich beschließe, sie mit meinen Augen in die Enge zu treiben, um irgendeine lesbare Reaktion zu erzwingen, doch Tobis polternde Schritte auf der Stiege lenken mich jäh ab. Sie klingen wie die Schritte eines Flüchtenden. Wieso kommt er schon wieder herunter, er ist doch eben erst hochgegangen?
    »Ihr … ihr solltet …« Er muss Luft holen, um weitersprechen zu können. Auf seinen Wangen prangen rostrote Flecken, er hat sich aufgeregt, vielleicht sogar erschrocken. Doch seine Augen sehen zutiefst erschöpft aus. Hilflos zeigt er zur Treppe. »Ihr müsst euch das ansehen, schnell …«
    Oh nein. Das Dach und der Schnee. Ich kann es mir denken, es trägt die Last nicht mehr und der erste Balken ist brüchig geworden oder gar eingestürzt. Aber hätten wir das nicht hören müssen? Trotzdem springe ich sofort auf und klettere den anderen voran die Stiege hinauf. Sogar Simon quält sich nach oben, hustend und schniefend.
    Die Tür steht weit offen, doch keiner von uns betritt den Raum. Wie eine verängstigte Herde Vieh bleiben wir vor dem Eingang stehen, unfähig, uns vor- oder zurückzubewegen. Tobias muss nichts sagen oder erklären. Es genügt, diesen Anblick still auf sich wirken zu lassen. Es ist nur ein einziger Satz; in leuchtend roten Lettern prangt er an der kahlen weißen Wand, verfasst in nichtssagenden, geraden Buchstaben. Druckbuchstaben. Keine Handschrift zu erkennen. Sieben kurze Wörter, mehr nicht, wie ein ironisches Zitieren eines mittelmäßigen Psychothrillers, aber sie bringen uns augenblicklich zum Verstummen.
     
    EINE(R) VON UNS WAR IN DER KLAPSE.
     
    Ich lese die Botschaft zweimal, dreimal, um zu glauben, was ich hier sehe, bis die roten Lettern vor meinen Augen zu flimmern beginnen. Warum sagt niemand etwas? Sie müssen doch etwas sagen. Warten sie auf meine Reaktion? Tobi hat vor Anspannung damit angefangen, auf seinen Fingernägeln herumzukauen. Seine braunen Augen fliegen von einem zum anderen und finden nirgendwo Halt.
    »Ihr müsst das wieder wegmachen, okay?«, stößt er schließlich heiser hervor. »Das kann da nicht bleiben, ihr müsst das wegwischen.«
    »Halt die Klappe«, fahre ich ihm über den Mund. »Was ist das? Hm?« Ich trete einen Schritt vor, damit ich mich umdrehen und die anderen anschauen kann, einen nach dem anderen, aus engen, frostigen Augen. »Ist das eine besonders erwachsene Version von Flaschendrehen? Ja?« Auch meine Stimme ist eisig geworden. Ich rede nicht schnell oder gehetzt, nein, ich nehme mir für jedes Wort Zeit. Ich mag angezählt sein, aber noch bin ich ihm Ring. »Soll ich das Rätsel lösen? Bitte, das ist nicht schwierig. Ich war es. Ich war in der Klapse. Können wir jetzt weiterfrühstücken?«
    Niemand antwortet. Sie glotzen wie Fische in einem Aquarium auf den Schriftzug und wieder auf mich, hin und her, hin und her. Einer von ihnen spielt es. Vielleicht spielen es sogar alle vier.
    Tobi spuckt in seine Hand und versucht, mit den Fingern den ersten Buchstaben wegzuwischen, doch die rote Farbe verschmiert nur. Der Täter muss einen der Stifte vom Flipchart genommen haben. Es sieht billig und fies aus, wie schlechtes Bahnhofsgraffiti. Und das ist es auch. Eine primitive Verleumdung. Nein, eine Verurteilung. Um die Wahrheit geht es hier doch gar nicht mehr.
    »Was ist?«, blaffe ich die anderen an. »Hat es euch die Sprache verschlagen? Oder war sonst noch jemand in der Klapse? Maggie, du vielleicht?«
    Maggie atmet schnaubend aus und stemmt die Hände in die Hüften. »Noch nicht, Lavinia. Aber lange dauert es nicht mehr, wenn das hier so weitergeht.«
    Ich grinse sie unterkühlt an, tue ihr aber nicht den Gefallen, auf ihren Konter einzugehen. Er ist doppeldeutig. Wenn das so weitergeht … Wenn was so weitergeht? Ich tue doch gar nichts! Sie ist es, die mich meiner Haare beraubt hat. Und warum sagt Simon nichts? Das hier muss gegen sein Rechtsempfinden verstoßen – selbst wenn er seinen neutralen Posten längst aufgegeben hat, so ist es doch eine Sachbeschädigung und das sollte ihm ein Dorn im Auge sein. Ich löse meinen Blick von Maggie und schaue ihn an. Gedankenverloren starrt er auf die Wand, während ein dünner Faden Rotze aus seiner Nase läuft und seine Oberlippe zum Glitzern bringt.
    »Viel Spaß beim Putzen, ihr Feiglinge.«
    Sie treten sofort zur Seite, als ich zur Tür schreite, doch sie bleiben nicht oben. Einer nach dem

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