Linna singt
nein.«
»Du hast nie Angst?«
»Hast du Angst vor einem Kampf?« Ich schüttele mit einer minimalen Bewegung den Kopf und baue darauf, dass er sie deuten kann, denn meine Zunge ist schwer geworden. Falks Geruch ist durch meine Nase in meinen Mund gewandert, ich schmecke ihn sogar. »Siehst du. Wenn man sich mit dem auskennt, was man tut, muss man keine Angst haben. Angst kann sogar gefährlich sein. Ich hab mir die innere Ruhe für meine Tauchlehrerkarriere antrainiert, indem ich nachts mit dem Boot raus ans Riff gefahren und alleine tauchen gegangen bin, ausgerüstet nur mit Sauerstoff, einer Lampe am Kopf und meinem Orientierungssinn. Volles Vertrauen in sich selbst … und die Natur hilft einem dabei, sie stärkt ungemein.«
»Was heißt eigentlich Mozzie?« Ich kann nur noch lallen, so müde bin ich. »Hoffentlich nichts Unanständiges …«
»Es is’ ’ne Abkürzung für Mosquito. Wir Aussies lieben Abkürzungen, musst du wissen.«
Wir Aussies. Ich schlucke den Schmerz weg, es ist nicht der richtige Moment, ihn gewinnen zu lassen oder gar darüber nachzudenken. Falk ist hier. Ganz nah. Er vergleicht mich zwar unentwegt mit Tieren, deren Sympathiefaktor als umstritten bezeichnet werden darf, aber ich bin schon fast ein Teil von ihm … Keine Grenzen zwischen ihm und mir. Mir ist, als könne ich unter sein Fell kriechen und mich wärmen. Weil ich ihn riechen kann.
Ich will gerade genüsslich ausatmen, als sich Falks Muskeln unter meiner Wange von einer Sekunde auf die andere anspannen. Auch ich halte inne. Falk legt mir warnend den Daumen auf den Mund. Schritte … Ich höre Schritte auf der Treppe. Ich weiß nicht, ob Falk sie ebenfalls wahrnimmt, mein Gehör ist schärfer als das der meisten anderen Menschen, aber er hat etwas gewittert. Da kommt jemand. Er schleicht die Stiege hinauf, tunlichst darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen, und doch sind wir ihm eine Nasenlänge voraus.
»Nichts machen oder sagen«, wispert Falk in mein Ohr, ein warmer Hauch, der mich erschauern lässt. »Wir warten erst ab.«
Ich weiß nicht, ob er mich damit beruhigen oder davor bewahren will, Dummheiten zu machen, aber er schließt meine beiden Hände in seine und hält sie fest, während uns das Knacken einer Bodendiele verrät, dass Jules die Tür zum Dachboden erreicht hat. Obwohl ich sowieso fast nichts sehe in unserem winzigen, engen Papierzelt, schließe ich die Augen, um noch besser lauschen zu können, während meine Instinkte mit aller Macht danach verlangen, Licht zu machen und zu fliehen. Auch Falk hält den Atem an.
Ich kann beinahe spüren, wie die Türklinke sich hinunterschiebt; ich habe selbst schon so oft lautlos Klinken heruntergedrückt, dass ich genau weiß, wie es sich anfühlt, das zu tun, und presse meine Handfläche gegen Falks Finger, als würde ich Jules dabei helfen wollen. Dann verrät mir ein plötzlicher Luftzug an meinem Hals, dass die Tür einen Spaltbreit geöffnet wurde. Was jetzt? Wird er versuchen, Licht zu machen? Wie wird er reagieren, wenn er merkt, dass es nicht funktioniert? Hat er für alle Fälle eine Taschenlampe oder ein Feuerzeug dabei wie Falk? Und wird er uns entdecken? Ich kann mir kaum vorstellen, dass er uns nicht entdecken wird, aber selbst wenn er uns nicht sehen kann, müsste er doch spüren, dass er nicht allein ist … Ich würde es spüren, da bin ich mir sicher.
Doch kein Klacken ertönt. Stattdessen höre ich ein anderes Geräusch, so unmissverständlich und erschütternd real, dass ich mich am ganzen Körper verkrampfe und meine Lippen aufeinanderpressen muss, um nicht aufzuseufzen. Auch Falks Hände drücken fester zu. Vielleicht überlegt er noch, was es sein könnte, und versucht es zuzuordnen, doch ich weiß es längst ohne jeden Zweifel, mein Gehör ist trainiert auf diese Laute. Da weint jemand. Ja, Jules weint, in abgehackten, stimmlosen Schluchzern, wie sie nur Menschen von sich geben, die glauben, allein zu sein, und sich keine Mühe mehr geben, das, was in ihnen wütet und schmerzt, zu mäßigen oder gar unterdrücken.
Was wir hier hören, ist das ungeschminkte Elend und es verstärkt meinen Fluchtinstinkt so sehr, dass ich meine Füße in den Boden stemmen muss, um mich nicht von Falk loszureißen und nach unten in mein Zimmer zu rennen.
Das Weinen wird nicht lauter oder leiser, es bleibt gleichmäßig, während Jules im Raum stehen bleibt und darauf wartet, dass seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen. Es sieht nicht aus, als wolle er
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