Linna singt
sage aber nichts. Dieses Tier bedeutet Falk alles und der Täter war weg – und unsere Nerven sind dünn wie Seidenfäden.
»Schau, hier.« Unvermittelt greift Falk nach meiner Hand und schiebt sie unter seinen Pulli. Holla, nackte Haut unter meinen Fingern, behaarte nackte Haut – und ein Herz, das ebenso schnell dahinjagt wie meines. Seine gesamte Brust vibriert unter den harten, kräftigen Schlägen. Hätte er mir das nicht auch einfach nur sagen können? Wie soll ich jetzt noch klar denken?
Widerstrebend ziehe ich meine Hand zurück, komme aber nicht umhin, sie an meine Nase zu führen und daran zu schnuppern. Ich werde nicht enttäuscht. Noch immer rieche ich ihn, schwach und fern, doch trotz meines Schreckens nehme ich ihn wahr. Es tut so gut, das zu wissen, dass meine Schultern sich ein wenig entspannen. Stöhnend reibe ich über meine verhärteten Nackenmuskeln.
»Du hast wirklich gedacht, er … sie … tut Luna etwas an?«
»Weiß nich’.« Ich nehme undeutlich wahr, wie Falk den Kopf schüttelt. »Verzweifelte Menschen sind zu den schrecklichsten Dingen fähig«, spricht er das aus, was ich vorhin spürte, aber nicht in Worte fassen konnte. Mit beiden Händen versucht er, Luna zu uns zu ziehen, doch es ist schwierig genug, zwei Menschen hinter den Flipchart zu packen. Zwei Menschen und ein Irish Wolfhound sprengen die Kapazitäten dieses ohnehin mangelhaften Verstecks.
»Falk, wir können hier nicht bleiben. Er hat … sie hat … sie hat es nicht zu Ende geschrieben. Ich hab nachgesehen. Da steht nur ›Einer von uns‹, mehr nicht!«
»Hab ich mir fast gedacht. Aber warum ›sie‹?«, flüstert Falk so nah an meinem Gesicht, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüre. »Bist du noch immer auf dem Maggie-Trip?«
»Maggie ist die Einzige, die dauernd weint und … okay, das sagt gar nichts und meine anderen Argumente kennst du schon. Oder war es ein Lachen?«
Luna sträubt sich gegen Falks diverse Unternehmungen, sie auf unsere Beine zu zerren und dort zu parken. Ich wäre froh, ihren warmen Hundekörper auf meinen Füßen zu spüren. Mit einem Hund fühlt man sich gleich weniger schutzlos, obwohl Luna gegen einen Amokläufer nicht viel ausrichten könnte. Sie ist ein Hütehund, kein Pitbull. Sie würde uns bellend und knurrend verteidigen wollen, aber nicht sofort angreifen und so wahrscheinlich den ersten Axthieb abbekommen.
»Nee. Das war ein Heulen, kein Lachen. Und ich kann es nicht zuordnen. Gar nicht«, bekennt Falk. »Hab die anderen aber auch noch nie heulen hören. Bis auf dich und Maggie, aber ich denk nich’, dass sie es war.«
Ich habe Jules auch noch nicht weinen hören. Nicht einmal gespürt hatte ich sein Weinen, als ich ihn in jener warmen Frühlingsnacht, an Minas zehntem Geburtstag, in meinen Armen hielt. Doch womöglich hat er sich nur mit aller Gewalt zusammengerissen, um nicht das Gesicht zu verlieren. Wenn man alleine weint, reißt man sich nicht zusammen.
»Ob es jemand von außen ist?«, frage ich scheu, denn ich weiß selbst, wie abwegig sich dieser Gedanke anhört. Aber sollten wir nicht auch diese Möglichkeit in Erwägung ziehen? »Nein, Quatsch«, beantworte ich meine Frage im gleichen Atemzug. »Wie sollte das gehen?« Wir hätten es bemerken müssen. Die Hütte ist zu klein, als dass sich jemand dauerhaft vor uns verbergen könnte. Außerdem, wer sollte das sein? Und warum sollte er solche Dinge tun?
»Aber vielleicht war das eben ein Trittbrettfahrer«, überlegt Falk nach einigen Schweigesekunden, in denen wir beide in die Stille hineinhorchten. Luna hechelt leise vor sich hin und ich weiß genau, dass ihr Hintern aus unserem Versteck herausragt. Doch ich bringe es nicht übers Herz, Falk darum zu bitten, sie wieder in sein Zimmer zu sperren. Ich will selbst, dass sie hierbleibt, auch wenn sie uns verraten wird, sobald der Täter zurückkehrt.
»Ein Trittbrettfahrer?« Daran hatte ich noch nicht gedacht.
»Na ja …« Falk räuspert sich unterdrückt. »Jemand, der durch die anderen Botschaften auf dumme Ideen gekommen und an seiner eigenen Courage gescheitert ist. Oder er hat uns bemerkt.«
Ja, so weit war ich auch schon. Ich verzichte darauf, Falk zu fragen, warum er nichts unternommen hat. Das Verhalten des Täters war zu unerwartet, als dass wir darauf hätten reagieren können. Sein Schluchzen machte uns handlungsunfähig.
»Aber wenn es … wenn …« Ich vergesse, was ich sagen wollte, als Luna warnend zu knurren beginnt, ein Grollen, das tief
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