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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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wispert Falk, das erste gesprochene Wort in diesem riesigen, warmen Zimmer seit Minuten, und ich bin so erleichtert, es zu hören, dass es mir vorkommt wie eine helle Flamme in der Finsternis. Ich wage es, meine Augen zu öffnen. Es ist immer noch dunkel, so dunkel, dass ich nicht einmal das weiße Dach des Flipcharts über uns erkennen kann. Viel mehr als wir kann der Täter nicht gesehen haben, er muss blind geschrieben haben; vielleicht genügte ihm auch die schwache Helligkeit des Schnees vor dem Fenster, um zu erkennen, was er da tat. Doch uns hat er nicht registriert. Wir sind in Sicherheit – und wir waren zu feige, ihn zu stoppen. Ja, Falk hat recht. Shit ist das passende Wort für unser Verhalten. Wir haben ihn ziehen lassen.
    »Warte hier«, raunt er, lässt meine verschwitzten Hände los und klettert über mich aus unserem Versteck. »Rühr dich nicht von der Stelle, ich bin gleich wieder da.« Ehe ich protestieren kann, ist er zur Tür geschlichen und hindurchgeschlüpft.
    Der Täter ist weg, versuche ich mein panisch schlagendes Herz zu beruhigen. Keine Gefahr, er hat es vollbracht und wir Stümper haben versäumt, ihn zu stellen, aber er ist fort, dir kann nichts passieren. Alles in Ordnung.
    Doch mein Herz will sich nicht beruhigen und meine Ohren wollen das Weinen nicht vergessen. Ich muss sehen, was an der Wand steht, und zwar sofort. Auf allen vieren krieche ich unter dem Flipchart hervor und krabbele über den Boden, meine Knie sind zu weich, um mich aufrichten zu können, und ich habe das absurde Gefühl, niedergestreckt zu werden, sobald ich es tue. Ja, ich fühle mich wie im Krieg, beobachtet und verfolgt.
    Der Schnee spendet tatsächlich ein wenig Helligkeit, gerade genug, um die weiße Wand neben dem Fenster mit einem grausilbrigen Schimmer zu überziehen. Prüfend wende ich meinen Kopf zu unserem Versteck und bin erstaunt, wie finster es dort ist. Das Papier des Flipcharts ist zwar deutlich zu sehen, doch dahinter herrscht undurchdringliche Schwärze.
    Ich richte meine Augen wieder auf die Wand und muss einige Sekunden verstreichen lassen, bis sie sich so weit an das Halbdunkel gewöhnt haben, dass ich die Buchstaben erkenne.
     
    EINER VON UNS
    Einer von uns? Und weiter? Was soll das heißen, einer von uns? Der Täter hat nicht zu Ende geschrieben, das ist nur der Anfang seiner Botschaft, warum hat er nicht zu Ende geschrieben? Was bedeutet das? Wusste er noch gar nicht genau, was er schreiben will? Hat er Zweifel bekommen? Oder hat er uns doch bemerkt und ist hinuntergegangen, um sich zu bewaffnen und …
    Sofort lasse ich mich zurück auf den Boden fallen und robbe zu unserem Versteck hinüber, obwohl das vollkommen zwecklos ist, denn wenn er uns bemerkt hat, weiß er ganz genau, wo wir stecken – nein, wo ich stecke, denn Falk ist nicht mehr da, er hat mich hier oben allein zurückgelassen, oh Falk, warum? Auf einmal ist es in meinem Kopf nicht mehr Maggie, die weinte, es ist wieder Jules, Jules!, und es war kein Weinen, sondern das hohle Lachen eines Wahnsinnigen, dem tausend irre Flüsterstimmen eintrichtern, was er zu tun hat, er kann nichts mehr davon kontrollieren, auch nicht den Impuls, die Axt zu holen und mich in Stücke zu schlagen, weil … weil – weil ich ihn zurückgewiesen habe? Aber das habe ich doch nicht! Gar nichts habe ich getan!
    Ich wimmere leise auf, als ich spüre, wie die Tür sich erneut öffnet, es ist sowieso egal, ob er mich hört oder nicht, er weiß, dass ich da bin, das hier ist kein Versteck mehr, sondern eine Falle.
    »Linna? Linna … alles klar?« Mir entfährt ein überdrehtes Kichern, als eine nasse Hundeschnauze gegen meine Hand stupst. Doch im gleichen Augenblick werde ich entsetzlich wütend – so wütend, dass ich Lunas Freudenbekundungen ignoriere und Falk den Ellenbogen in die Rippen stoße.
    »Wie konntest du mich hier oben allein lassen?« Oje, ich erfülle die Rolle des schwachen Weibes in diesem Spiel mit allem, was dazugehört. Jetzt mache ich ihm auch noch Vorwürfe.
    »Sorry, aber ich …« Ich kann Falks Gesicht nicht erkennen, doch sein Tonfall bringt mich dazu, meinen Ellenbogen wieder zu mir zu nehmen. Er klingt nicht minder angespannt als ich. Falk hat Angst? »Ich musste Luna holen. Ich hatte plötzlich Panik, ihr könnte was angetan werden. Konnte sie nich’ länger im Zimmer lassen, zu riskant.«
    Okay, wir haben hier also eine ganz klare Reihenfolge. Erst das Wohl des Hundes, dann das Wohl der Frau, denke ich sarkastisch,

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