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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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wäre, wäre er in keinem seiner Videoclips persönlich aufgetaucht. Aber er musste. Und so zeigt die Kamera ihn zu Anfang des Videos für einen etwas längeren Moment, wie er Gitarre spielt und Maggie Reilly einen scheuen Blick zuwirft, dabei die linke Augenbraue wissend hochzieht, genau wie Falk es in diesem Moment tat, als er zu mir gesehen hat, mit dem gleichen Zug um den Mund. Etwas Bitteres lag darin.
    Doch dieses Bittere ist weg. Falk hat sich nicht zum Negativen verändert wie die anderen. Er hat seine Schatten abgestreift. Ich öffne meine Augen, um ihn von der Seite zu mustern. Er strahlt oder grinst nicht, wie Simon es früher so gerne getan hat, aber er sieht entspannt aus, während er mit einer Hand am Lenkrad und der anderen auf seinem Knie nach vorne auf die nasse Straße schaut. Der schmerzliche Ausdruck in seinem Gesicht ist nicht mehr da. Kann so etwas tatsächlich vergehen? Oder habe ich mir das damals nur eingebildet?
    Ich weiß nichts von den anderen. Da ist nur ein vages Bauchgefühl und selbst das kann ich nicht definieren. Ich kann nicht sagen, was in ihren Köpfen herumspukt oder wie ihr Leben aussieht. Wovon sie träumen. Jeder von ihnen könnte eine Beziehung haben, jeder von ihnen könnte solo sein. Jeder könnte einen heimlichen Zorn auf mich hegen, weil ich die Band torpediert habe, als wir am besten waren. Wann sage ich ihnen, dass ich nie mehr gesungen habe?
    Endlich beginnt die Luft aus den Düsen sich zu erwärmen. Ich sacke etwas tiefer in meinen unbequemen Sitz und schließe wieder die Augen, versuche zu vergessen, dass ich nicht in meinem eigenen Auto sitze und meine Unabhängigkeit eingebüßt habe. Im Ernstfall klaue ich mir einfach Falks oder Jules’ Schlüssel und haue ab. Hauptsache, es ist ein Fluchtwagen vor der Tür. Niemand kann mich zwingen, dort zu bleiben, wenn ich es nicht will. Niemand … kann mich … zwingen …
    »Linna. Hey. Wach auf. Linna!«
    Stöhnend hebe ich den Kopf. Mein gesamter Nacken ist steif und meine Füße schmerzen vor Kälte.
    »Was ist?« Ich habe geschlafen. Stundenlang, wie es mir scheint. Das Nieseln hat sich in einen strömenden Regen verwandelt, der in einem gleichmäßigen Trommeln auf die Frontscheibe prasselt, bis Falk den Wagen neben der überdachten Zapfsäule parkt und den Motor ausstellt. Die plötzliche Ruhe dröhnt in meinen Ohren.
    »Ich muss tanken. Kannst du Luna Gassi führen? Sie muss dringend mal raus. Wir sind unter Zeitdruck, wir standen über eine Stunde im Stau.«
    Ich muss vollkommen weggetreten gewesen sein. So fest schlafe ich sonst nie, schon gar nicht in fremden Autos. Fragend drehe ich mich zu Luna um. Ihre sandfarbenen Augen blicken mir bittend entgegen.
    »Von mir aus.« Seufzend befreie ich mich aus meinem Schlafsack, öffne die Tür und klettere nach draußen in die Kälte. »Wo sind wir?«
    »Kurz vor München.« Einhändig stemmt Falk die Heckklappe nach oben. Mit einem Satz springt Luna auf den rutschigen Asphalt und schüttelt sich ausgiebig.
    Falk verliert kein Wort, als er den Karabinerhaken in ihr Halsband einhängt und mir das Ende der Leine reicht. Schlotternd ziehe ich mir meine Softshelljacke an und klappe die Kapuze über meinen Scheitel. Dann mache ich mich zusammen mit dem Kalb auf den Weg zum Parkplatz. Schon nach wenigen Metern stoppt sie auf einem schmalen Grasstreifen und krümmt ihren Hinterleib. Ich drehe mich diskret weg.
    Ein Mann mit angegrauten Schläfen und regennassem Mantel, in der einen Hand einen Coffee to go mit Röhrchen und an der anderen einen nervös röchelnden Terrier, schlendert auf mich zu.
    »Oh, ein Irish Wolfhound«, raunt er anerkennend. »Schönes Tier.«
    Das schöne Tier kackt gerade, sieht er das nicht? Kein Tier ist nett anzusehen, wenn es kackt. Ich sage nichts. Neugierig linst er an mir vorbei. Seine rechte Hand steckt bereits in einer Plastiktüte.
    »Wollen Sie das nicht wegmachen?« Seine Stimme ist immer noch freundlich, hat aber einen mahnenden Unterton. Mich blutjunges Ding kann man ja mal väterlich zurechtweisen. Will ich Krieg oder Frieden? Was mache ich mit ihm? Ich entscheide mich kurzerhand für Frieden. Für Krieg bin ich zu müde.
    »Danke, heute ausnahmsweise nicht«, erwidere ich in reservierter Höflichkeit, schaue ihm aber direkt in die Augen. Blassblau, mit Ringen unter den geröteten Lidern. Ich schätze ihn auf Mitte vierzig.
    Für den Bruchteil einer Sekunde senke ich meine Wimpern und hebe sie wieder, dazu puste ich mir eine feuchte

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