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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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ernst und männlich. Jules sieht auf einmal schrecklich zufrieden aus und ich ahne, dass das nichts Gutes bedeutet.
    »Kein Schlitten. Der Schlittenführer liegt mit einem Blinddarmdurchbruch im Krankenhaus. Wir könnten aber hochlaufen. Drei Kilometer, das ist zu schaffen.«
    Ja, drei Kilometer geradeaus sind ein Klacks. Aber drei Kilometer plus Höhenmeter bei strömendem Regen? Haben Jules und Falk auch darüber nachgedacht?
    »Was ist mit meinem Keyboard? Ohne mein Keyboard mache ich keinen Schritt, ich kann nicht ohne mein Keyboard auf die Hütte, das geht nicht!«, ruft Maggie aufgebracht. »Wir brauchen doch unsere Instrumente!«
    »Schlagzeug, Verstärker und Keyboard sind oben, das hab ich euch doch …«
    »Ein Clavinova, Tobi! Das kannst du nicht mit meinem Roland vergleichen, da hab ich doch die ganzen Samples drin und Effekte und …« Maggie schluckt. »Ich muss es dabeihaben«, bekräftigt sie bittend in meine Richtung, als habe ich die ganze Situation zu verantworten.
    »Wir können auch wieder heimfahren«, schlage ich vor. »Oder wir spielen unplugged. Du singst ja auch noch Background, oder?« Ich blicke sie fest an. Maggie schüttelt abweisend den Kopf. Ich weiß nicht, ob sie meine Frage meint oder die Tatsache, dass ihr Keyboard im Auto bleiben muss.
    »Kommt, Leute, stellt euch nicht so an. Bis es dunkel ist, vergehen noch ein paar Stunden, wir sind jung und gesund, wir werden ja wohl zu einer Hütte wandern können, oder?« Jules schaut fragend in die Runde, dicht neben ihm Falk, der uns auffordernd zunickt; zwei Männer, die ihre Grenzen ausloten wollen. Um Musik geht es hier gar nicht mehr. »Der Weg ist ausgeschildert, wir müssen ihm nur folgen.«
    »Von mir aus«, willigt Maggie seufzend ein. Dabei weiß sie gar nicht, dass nicht nur das halbe Equipment fehlt, sondern auch die Stimme der Sängerin. Doch einen falscheren Moment, das zuzugeben, als diesen hier gibt es nicht.
    Wir gehen durch den immer stärker werdenden Regen zurück zu unseren Autos und ziehen uns wetterfest an, stülpen Mützen und Kapuzen über unsere nassen Haare, dann schlüpfen wir in unsere Rucksäcke, Simon schultert außerdem seinen Bass, Maggie ihre Geige, von der sie sich nicht trennen kann, und Falk seine Gitarre. Ein illustrer Trupp, der sich da auf den Weg in die Berge macht, denke ich, als ich uns ansehe. Wir wirken weltfremd, aber hoch motiviert.
    Auf den ersten hundert Metern bergauf sprechen wir uns noch gegenseitig Mut zu und spornen uns an, doch dann merkt einer nach dem anderen, dass Sprechen und Rufen zu viel Kraft kostet. Nach Lachen ist uns allen nicht mehr zumute. Der Schnee ist glitschig und schwer, manchmal sinken wir bis zu den Knöcheln darin ein. Das Leder meiner Boots hat sich mit Nässe vollgesogen, doch mir ist so heiß, dass ich meine kalten Füße als angenehm empfinde. Immer wieder mischen sich beißende Graupelkörner in den eisigen Regen, der sich auf dem Schnee sofort in eine rutschige Schicht verwandelt. Falk stapft ausgeruht voran, mit großen, kräftigen Schritten, danach folgt Jules, dann ich, die Nachhut bilden Maggie, Simon und Tobi, die sich gegenseitig zu helfen versuchen, wenn der Untergrund zu schlüpfrig wird. Doch sie fallen zunehmend zurück. Als ich mich nach einer halben Stunde Aufstieg erneut nach ihnen umdrehe, nehme ich sie nur noch undeutlich als einen blauen, einen schwarzen und einen braunen Punkt im Dämmerlicht wahr. Sofort forme ich meine Hände vor dem Mund zu einem Trichter und wende mich wieder nach vorne.
    »Anhalten! Falk, halt an! Maggie kommt nicht mehr mit.« Doch er hat bereits von alleine gestoppt, um sich niederzuknien und Lunas Pfoten zu untersuchen. Schon seit einigen Biegungen hinkt sie stark. Nach Luft schnappend wie Fische auf dem Trockenen warten wir, bis Maggie, Simon und Tobias zu uns aufgeschlossen haben.
    »Ich … kann … nicht … mehr …«, stößt Maggie angestrengt hervor. »Ich kann einfach nicht mehr.« Ihr Gesicht ist hochrot, doch um ihre Nase herum breitet sich eine ungesunde Blässe aus. Ich zerre sie am Ärmel zu mir rüber, da sie gefährlich nah am Abhang steht, stütze sie und streife den schweren Rucksack von ihren Schultern, um ihn Jules zu reichen, der ihn sich, ohne zu murren, auf den Bauch zieht. Dann nehme ich ihre Geige auf meinen Rücken, ein bestürzend vertrautes Gefühl. So oft sind wir gemeinsam mit unseren Instrumenten durch die Gänge der Schule gelaufen …
    »Besser?« Maggie nickt dankbar. »Wir dürfen

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