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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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wähle ich die 112 und drücke das Handy an mein Ohr. Lieber Feuerwehr als Polizei, die Feuerwehr ist sicherlich direkt mit der Pistenwache verbunden und kann mich weiterleiten. Doch schon beim zweiten Tuten erlischt das Licht an meinem Ohr, ich höre es viel mehr, als dass ich es sehen kann, ein zartes Knacken. Kopfschüttelnd lasse ich das Handy zurück in meine Hosentasche gleiten.
    »Kein Saft mehr. Und deines?«
    »Ich kriege es gar nicht erst an. Da stimmt doch was nicht, Linna. Jules muss so lange auf ihnen herumgedrückt haben, bis sie keinen Strom mehr hatten. Mein Akku hatte noch zwei Balken und das Handy ist nicht alt. Es hat eine extrem lange Akkudauer, das brauche ich, wenn ich mit dem Boot draußen bin. Es ist ein richtiger Outdoorknochen. Da muss Jules seine Finger im Spiel haben.«
    Ich weiß, dass ich mich benehme wie in einem stumpfsinnigen Horrorfilm, aber ich drehe mich argwöhnisch um, um nachzusehen, ob wir verfolgt werden. Kurz habe ich eine Vision von Jules, der mit der Axt in der Hand durch den Schnee stolpert. Shining lässt grüßen, mal wieder. Ich sollte in Zukunft weniger Thriller gucken. Das bekommt mir nicht.
    Falk und mir bleibt keine andere Möglichkeit, als unser Leben zu riskieren, indem wir weitgehend orientierungslos durch den Wald marschieren, in dem beunruhigenden Wissen, dass um uns herum Lawinensprengungen vorgenommen werden. Es sind kontrollierte Sprengungen, aber die Lawinen sind nicht minder zerstörerisch als ihre natürliche Variante. Keiner weiß, dass wir hier draußen unterwegs sind. Und nun haben wir auch keine Chance mehr, Hilfe zu holen, falls uns etwas zustößt.
    Trotzdem fühle ich mich merkwürdig euphorisch, als wir Hand in Hand weiterlaufen. Schneller kämen wir voran, wenn wir uns nicht dabei festhielten, doch Falk will mich bei sich haben. Ich spüre es mit jeder Geste und jeder seiner Bewegungen. Das ist seine Art der Treue, denke ich bewegt. Er hat mich nicht geschont und mir die Wahrheit über sich und sein Leben gesagt, ich habe weder protestiert noch gebettelt. Doch jetzt möchte er mich an seiner Seite wissen.
    So muss es sich anfühlen. Ja, so ähnlich muss es sein, wenn man mit jemandem zusammen ist. Man macht Dinge gemeinsam, ganz freiwillig, ganz ohne Zwang und Notwendigkeit. Es fühlt sich gar nicht so erdrückend an, wie ich immer dachte. Ich mag das Wort Beziehung deshalb nicht lieber als früher, es klingt in meinen Ohren wie eine Krankheitsbezeichnung. Trotzdem kommt mir die Vorstellung, es eines Tages doch zu versuchen, ein paar Wochen mit ein und demselben Mann zu verbringen, nicht mehr so bedrohlich vor wie bisher.
    Als wir den Rand des Wäldchens erreicht haben, bleibt Falk erneut stehen – dieses Mal nicht, um mich zu küssen, sondern um mich am Kinn zu nehmen und mir forschend in die Augen zu sehen.
    »Warst du jemals in Versuchung? Oder bist du es?«
    »Versuchung?«, spreche ich ihm fragend nach. Was meint er?
    »Der Spruch an der Wand«, sagt er und seine Mundwinkel wandern ein Stückchen nach unten. Er findet ihn genauso verachtenswert wie ich. Nur Angst verrät sein Blick nicht. »Hast du jemals daran gedacht, dir etwas anzutun?«
    »Du?«, frage ich zurück. Ich möchte erst ihn etwas dazu sagen lassen, bevor ich antworte.
    Er schüttelt entschieden den Kopf. »Niemals. Nein. Aber als … als ich dich gesehen habe, wie du den Hang hinuntergerannt bist und dich umgedreht und in die Lawine geschaut hast, da … Ich weiß nicht. Ich musste vorhin daran denken, als ich die Botschaft gelesen habe.«
    Mit halb geschlossenen Augen lehne ich mich an den nächstbesten Baum. Und ich war noch überzeugt davon, dass ich dieses Mal nicht mit der Botschaft in Verbindung gebracht werden kann … Nun tut es ausgerechnet Falk.
    »Ich bin nicht den Hang hinuntergerannt, weil ich sterben wollte. Ich will nicht sterben. Ich will leben. Die Lawine kam mir in dem Moment nur vor wie eine Fügung, wie ein Zeichen. Als sollte es so sein. Aber ich bin nicht feige. Ich drücke mich nicht.« Ich möchte ihm ebenso tief in die Augen sehen wie er mir, doch seine Iris strahlt so hell, dass sie meine Seele zu reflektieren scheint. Ich komme nur bis zur Oberfläche und werde sofort zurückgeschleudert. Ihr Licht tut beinahe weh.
    »Ehrlich nicht, Mozzie? Ich mache mir Sorgen.« Er legt seine Finger auf meine Wange. Nicht, Falk, bitte, das erinnert mich an heute Nacht. Aber ich ziehe meinen Kopf nicht weg, mein Gesicht passt so wunderbar in seine Hand, dass es

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