Linna singt
wollte Sex mit mir.«
»Und, wie war’s?«, entgegnet Maggie giftig.
»Keine Ahnung, ich war nicht dabei. Wo ist eigentlich sein Handy?«, frage ich, als sie verschlossen an mir vorbeischaut. Männertechnisch hat sie sich wirklich zwei sagenhafte Missgriffe geleistet. Ihr Ehemann begleitet sie aus dem heimlichen Wunsch auf die Hütte, hier oben in der rauen Wildnis mit Falk Brokeback Mountain nachzuspielen, und ihr Lover gräbt derweil ihre liebste Feindin an und schmiert Nacht für Nacht Verleumdungen an die Wand. »Er muss es noch bei sich haben, Falk sagt, es sei nicht bei den anderen Handys gewesen.«
»Keine Ahnung, woher soll ich das wissen?« Noch immer weint sie, aber viel gefasster als in den vergangenen Tagen. Kein Flehen mehr, keine blinde Hysterie. »Ich werde mich scheiden lassen müssen«, sagt sie völlig aus dem Zusammenhang heraus, als sie meinen prüfenden Blick bemerkt. »Geschieden mit vierundzwanzig. Nach gerade mal zwei Jahren Ehe. Das ist eine Katastrophe.«
»Immerhin hast du einen guten Anwalt, der sich in Familienrecht bestens auskennt.« Zu spät merke ich, was ich gerade angedeutet habe. Maggie hebt erstaunt ihre geröteten Lider.
»Ich weiß es. Das von seiner Tochter. Er hat es mir erzählt.«
»Simon hat … oh. Ehrlich?«
Ich nicke – und begreife, dass ich sie maßlos überfordere. Sie ist in Gedanken bei Jules und der Erkenntnis, dass nicht ich es bin, die ihn von ihr weggetrieben hat. Für Tobias ist in ihrem Kopf kein Platz mehr. Ich muss auf eigene Faust versuchen, etwas über ihn herauszufinden – und wenn es nur damit funktioniert, dass ich ihm vorgaukle, an ihm interessiert zu sein. »Maggie? Bleib hier, okay? Geh nicht mehr zu Tobi. Bitte.«
»Ich glaube nicht, dass er es war, Linna«, antwortet sie geistesabwesend.
Ihre ganze Welt ist plötzlich spiegelverkehrt und ich möchte nicht weiter in sie dringen. Es ist schlimm genug, was sie über Jules erfahren musste. Solange es noch möglich ist, sollte ich sie in dem Glauben lassen, dass wenigstens ihr Liebhaber kein dunkles Geheimnis verbirgt. Aber ich muss wissen, was hinter Tobis Verhalten steckt. Er kommt mir nicht vor wie ein typischer Psychopath, doch normal ist sein Benehmen nicht. Ich dachte, er leide unter den Spannungen zwischen uns und habe deshalb so schwache Nerven. Nun allerdings glaube ich, seine tiefe Enttäuschung rührt daher, dass seine Pläne nicht geglückt sind. Diese Pläne muss ich herausfinden, erst dann kann ich beurteilen, ob er gefährlich ist oder nicht. Maggie hat wohl eine ganze Menge mit ihm unternommen, lauter Friede-Freude-Eierkuchen-Sachen, er hat ihr Defizit genau erkannt und sich ins gemachte Nest gesetzt. Doch aus banalem sexuellem Notstand heraus schmiert man keine Botschaften an die Wand.
»Kann ich dich allein lassen?«
Maggie hebt langsam ihren Blick. Ihre Augen schauen mich so offen und direkt an wie nie zuvor. »Das hast du doch schon die ganze Zeit, Linna«, erwidert sie leise.
»Du mich auch«, gebe ich ohne jeden Vorwurf zurück. Denn das hat sie. Sie hat mir nicht ein einziges Mal geglaubt.
Ich verlasse ihr Zimmer mit dem unangenehmen Gefühl, auf der Stelle zu treten und Jules verraten zu haben, und bleibe ein paar Minuten auf dem stillen Flur stehen, um zu überlegen, was ich nun tue. Habe ich ein winziges Puzzleteil übersehen, einen Hinweis, den Maggie selbst gar nicht als solchen begriffen hat? Oder handelt Tobias aus reinem Spieltrieb? Ins Flaschendrehen und »Hänschen, piep einmal« hat er sich mit Begeisterung gestürzt, obwohl er uns kaum kannte. Dazu seine Gemütlichkeitsinszenierungen – als befänden wir uns in einem märchenhaften Kinderfilm. Eines ist jedenfalls auffällig: Er hat hier oben Menschen um sich geschart, die ein Problem mit sich oder der Welt haben, bis auf Falk. Doch wir hatten keine Muße, uns mit ihm zu befassen.
Die erste Verzweifelte, die er kennenlernte, war Maggie. Sie wird ihm einiges über uns erzählt haben und auch über mich. Wahrheiten oder Übertreibungen? Er habe mich verdächtigt, hat sie gesagt, und doch hat er mich weiterhin beflirtet und für sich einzunehmen versucht …
Zögerlich steuere ich seine Tür an und habe schon die Hand erhoben, um anzuklopfen, als ich es mir anders überlege. Es ist gut möglich, dass er schläft. Nachts macht er ja offenbar andere Dinge.
Mit angehaltenem Atem drücke ich die Klinke hinunter, schiebe mich durch die Tür und lehne mich neben seinem Bett an die Wand, um ihn anzusehen. Ja,
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