Linna singt
höre ich, dass Falk sich bereits ins Menü vorgearbeitet hat.
»Bilder«, murmelt er und stockt. Klickt weiter. Stockt wieder. Als würde man ihn schlagen, sobald er einen Versuch unternimmt auszusprechen, was er sieht. Es lässt ihn nicht kalt, erschreckt ihn sogar. Er sieht es nicht gerne. Ich öffne meine Augen und beuge meinen Kopf über das Display, doch Falk schiebt die Hand darüber.
»Was ist denn?«, frage ich und es ist nicht zu überhören, dass ich Angst habe. »Ist es so abartig?«
»Nicht abartig, aber …« Seufzend nimmt er die Hand weg und dreht das Smartphone in meine Richtung. Ich erkenne mich nicht sofort. Die Fotos sind so alt, dass ich erst denke, es handele sich um ein fremdes Mädchen. Meine Haare sind schulterlang, das Gesicht wirkt voller, und einige Bilder haben eine schlechte Qualität; sie müssen von Zeitungsberichten über unsere Auftritte abfotografiert oder bei schlechten Lichtverhältnissen geschossen worden sein. Falk klickt sie im Sekundentakt durch, es sind mindestens fünfzig Stück und sie alle zeigen – mich. Die neuesten sind nur wenige Tage alt, ich habe nicht gemerkt, dass er sie gemacht hat; eines davon zeigt mich sogar in der Badestube in der Wanne, als ich meine Haare mit Eiswasser gewaschen habe. Direkt nach Tobis und meiner Begegnung in der Sauna. Man sieht nicht viel von mir, ich tauche gerade auf, mit beiden Händen auf meinem Kopf und die Beine aufgestellt, dazwischen trübes Wasser. Eigentlich kann man nichts erkennen, doch ich schäme mich so sehr, dass ich mich abwenden muss. Er hat vor der Tür gelauert, unbeobachtete Momente abgewartet, um heimlich Bilder von mir zu knipsen. Es geht ihm um mich. Um mich! Nicht um Maggie. Er ist meinetwegen hier.
»Ich vermisse meinen Punchingball. Sehr sogar«, sage ich beherrscht, nachdem Falk das Handy ans Fußende geworfen hat. Selbst er ekelt sich davor. Das hier ist keine bloße Verehrung mehr. Es ist eine Manie. Tobias ist verrückt nach mir. Er hat Maggie nur benutzt, um mir nahe sein zu können.
Geholfen hat er uns, behauptete er am ersten Abend, ja, das mag sein, doch vor allem war er ein Groupie, ohne dass ich das wusste. Wahrscheinlich stand er bei jedem Konzert in der ersten Reihe, wartete schon Stunden vorher auf mich, obwohl ich immer erst kurz vor Beginn zu unseren Auftritten erschien. Hätte ich meine Augen auf der Bühne nur ein einziges Mal länger als zwei Sekunden geöffnet, während ich sang, hätte ich ihn bei unserem Wiedersehen im Haus von Jules’ Eltern sofort erkannt und wäre gewarnt gewesen. Aber so?
»Warum dann die Botschaften? Sie zielten auf mich ab, warum? Wenn er mich doch –« Nein, Liebe ist das nicht. Das ist krank. Er wollte mich ausgrenzen, um mich einfangen zu können, wenn mich niemand mehr wollte? Keiner mir noch glaubte? Anstatt zu antworten, steht Falk in einer harten, entschlossenen Bewegung auf und schreitet zur Tür.
»Nein!«, rufe ich, springe vom Bett und schiebe mich dazwischen. »Nein. Geh nicht zu ihm. Ich will das nicht.«
»Warum?«, poltert Falk los. »Er ist ein Spanner, ein elender Spanner! Ein Stalker!«
»Ja, richtig. Aber ich will nicht, dass Maggie es mitbekommt, bitte, Falk. Sie hat gerade erst erfahren, dass …« Kann ich ihm das sagen? Einfach so? Es Maggie zu sagen, war etwas anderes, sie ist davon betroffen, aber Falk? Ihn betrifft es nur indirekt. »Maggie hat gerade erst erfahren, dass Jules sie nicht liebt, und sie … sie denkt, dass Tobi in sie verknallt ist. Es tröstet sie. Nimm ihr das nicht, bitte.«
»Dieser Freak darf nicht ungeschoren davonkommen, er hat dir deine Haare abgeschnitten, wahrscheinlich hält er sie in der Hand oder riecht daran, wenn er sich einen –«
»Halt’s Maul!« Wütend boxe ich Falk die Faust in den Bauch. Mit einem schmerzerfüllten Stöhnen sackt er in sich zusammen. Oh Gott, daran hatte ich gar nicht mehr gedacht. Meine Haare. Ist Tobias so pervers? Er wollte meinen Skalp, als sexuelle Trophäe? Igitt. Was Falk eben gesagt hat, will ich mir gar nicht erst vorstellen, das ist abscheulich. Meine schönen Haare!
Falk ist noch damit beschäftigt, meinen Schlag zu verdauen, richtet sich aber trotz seiner Schmerzen auf und tritt zornig gegen das Bett. »Linna, ich lasse das nicht auf dir sitzen! Ihm solltest du eine verpassen, nicht mir! Er hat das verdient!«
»Das entscheide immer noch ich. Außerdem habe ich ihm schon eine verpasst. Und die größte Strafe für ihn ist doch, mich nicht zu kriegen, oder? Er
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