Linna singt
endlich, und ich habe das bedrückende Gefühl, Hochverrat begangen zu haben. »Er hat es mir eben gestanden und ihm geht es sehr schlecht deshalb. Er leidet auch, Maggie.«
Ihr Mund wird klein und rund, doch blankes Erstaunen sieht anders aus. »Dann … oh, ich verstehe. Ich verstehe«, wispert sie. »Dann habe ich es doch richtig gesehen …«
»Was hast du richtig gesehen?«, hake ich nach, als sie nicht weiterspricht.
»Bei dem Spiel – als du ihn … na, als du ihn abgeleckt hast.«
»Ich hab ihn nicht abgeleckt!«, widerspreche ich empört. »Ich bin doch kein Hund.«
»Du weißt, was ich meine. Kurz vorher hatte ich einen Traum, in dem ich ihn zusammen mit einem Mann gesehen habe. Hand in Hand. Das hat mich nicht mehr losgelassen. Aber als wir dann das Spiel machten und Jules ausgelost wurde, habe ich gedacht: Wenn du ihm zu nahe kommst und er Gefallen daran zeigt, weiß ich, dass er nicht schwul ist. Doch das hat er nicht. Er hat deine Hand weggeschlagen. Er mochte nicht, was du getan hast.«
Deshalb also ihr seltsam wissender Blick. Das war gar kein Testlauf für mich, sondern einer für Jules. Ich war nur das Versuchskaninchen.
»Und wieso dachtest du dann trotzdem, er liebe mich?«
»Ich habe gehört, wie du nachts zu ihm ins Zimmer gegangen bist, und als er mir nichts davon erzählte, war ich wieder davon überzeugt, dass zwischen euch etwas läuft. Und dann die Geräusche von heute Nacht … Er ist schwul? Sicher? Jules ist schwul?«
Sie glaubt es und doch glaubt sie es nicht. Noch kann sie gar nicht begreifen, welche Tragweite diese Erkenntnis hat.
»Du weißt doch, Mr Hollywood. Er ist halt ein guter Schauspieler.«
Keiner von uns ahnte, wie gut er ist. Wir haben es ihm alle abgenommen. Maggie lacht traurig auf und gleichzeitig lösen sich dicke, runde Puppentränen aus ihren blauen Augen. Ich möchte mir nicht ausmalen, was sie jetzt fühlt. Trotzdem ist es nicht so schrecklich, wie ich dachte, denn sie hat ihn betrogen, sie hat sich anderswo geholt, was er ihr nicht geben konnte. Es wird ihr Gewissen erleichtern, dass auch er sie betrogen hat, wenn auch nur in Gedanken – und ihm wird es wiederum kaum anders gehen. Er muss es erfahren. Aber dafür ist sie zuständig, nicht ich. Ich werde mir nicht ein zweites Mal die Hände schmutzig machen. Dieses Gespräch bringt mich bereits an meine Grenzen.
»Was weißt du über Tobias?«, starte ich einen neuen Versuch, das Gespräch auf die Fragen zu lenken, die mich umtreiben. »Ich glaube, dass er die Botschaften geschrieben hat.«
»Aber ich dachte, das warst du«, wispert Maggie, den Blick immer noch nach innen gerichtet. »Ich dachte, du willst dich in den Mittelpunkt spielen … aber jetzt … Du liebst Jules nicht?«
»Nein. Und ich will auch nicht im Mittelpunkt stehen«, entgegne ich müde. »Ich habe keine einzige dieser Botschaften geschrieben. Aber wenn du mir sowieso nicht glaubst, hat es auch keinen Sinn weiterzureden.«
Maggie schweigt, ohne mich anzusehen. »Warum sollte Tobias das tun?«, fragt sie schließlich unsicher.
»Das weiß ich nicht. Wie gut kennt ihr euch? Was kannst du mir über ihn sagen?«
»Dass ich mit ihm den besten Sex meines Lebens hatte?«, entgegnet Maggie provokant und erschrickt selbst über ihre Worte. »Gut, ich hatte noch nicht viel Sex, aber das war der beste«, räumt sie rasch ein, als sie sieht, dass ich grinsen muss. »Wir waren zusammen auf dem Weihnachtsmarkt, im Musical …«
»Im Musical?«, echoe ich vorwurfsvoll. »Du hasst Musicals!«
»Ja, schon, aber es war so schön, Sachen mit einem Mann machen zu können, der gerne in meiner Nähe ist! Gerne und freiwillig! Wir haben Plätzchen gebacken und sind zusammen in die Sauna gegangen und … ja, und dann erzählte er von der Hütte und am gleichen Tag habe ich das Angebot für Linna singt bekommen. Das hab ich dir doch alles schon gesagt!«
Maggie schweigt betroffen, als würde sie jetzt erst realisieren, dass sie eigentlich fast nichts über ihn weiß.
»Welchen Verdacht hat er denn geäußert? Ihr habt doch sicher über die Botschaften gesprochen, oder?«
»Na, er hat an dich gedacht, wie ich.« Einen leisen Triumph in der Stimme kann Maggie nicht verhehlen – und ich höre heraus, dass sie das immer noch glaubt. Sie kann sich nicht vorstellen, dass er es getan hat. Dann eher Linna.
»Du hast übrigens recht, er ist ein Hippie«, sage ich trotzdem. »Er hat mich angegraben, und zwar ohne jeglichen Interpretationsspielraum. Er
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