Linna singt
hat mich angemacht, ich hab es dir erzählt, aber du wolltest es mir ja nicht glauben, und vielleicht hat er mir die Haare nur abgeschnitten, um mich noch mehr ins Abseits zu drängen. Er hat ein Faible für unglückliche Menschen. Bei ihnen kann er landen und sein Feuerwerk der Gemütlichkeiten zünden. Das wollte er bei mir auch und am ersten Abend wäre es ihm fast geglückt. Ist ja auch kein Wunder, so wie ihr mich behandelt habt!«
Ich weiß, dass ich vorwurfsvoll klinge, aber ich finde, dass ich das darf. Jeder hat Tobias, ohne es zu wissen, bei seinem perfiden Plan unterstützt. Auch Falk trug seinen Teil dazu bei, indem er unsere Nacht verleugnete und mich vor Tobias und den anderen auflaufen ließ. Falks Augen sind so dunkel vor Wut, dass sie beinahe grau aussehen, doch er widerspricht mir nicht.
»Er hat mit uns allen gespielt und wir haben mitgemacht. Wenn ich so eine Schlampe wäre, wie alle Welt immer behauptet, wäre ich längst mit ihm in die Kiste gesprungen.«
Was uns wiederum weitere Botschaften erspart hätte – und damit auch die Wahrheit. Jules hätte wie gehabt einen auf heterosexuell gemacht, über mein Psychiatriekapitel wäre weiterhin nur gemunkelt worden, anstatt dass ich mich Falk geöffnet und damit das Vertrauen zwischen uns wieder aufgebaut hätte. Es hätte unsere Nachtwache auf dem Dachboden nicht gegeben und auch unsere gemeinsamen Stunden in Falks Zimmer nicht. Ich würde mich nach wie vor unter meinen langen Haaren verstecken und Maggie mich weiterhin fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Ja, wenn ich genauer darüber nachdenke, hat Tobias uns die Bälle sogar zugespielt, anstatt uns auseinanderzubringen. Wir brauchten ihn, um uns wieder näherzukommen, selbst wenn seine Handlungen auf meine Kosten gingen. Eigentlich müssten wir Tobias einen Blumenstrauß überreichen und uns auf Knien bei ihm bedanken. Er hat uns zueinandergeführt, anstatt uns zu Feinden zu machen.
Falk ist ans Fenster getreten, stützt die Arme auf das Sims und stiert finster in die Dämmerung hinaus.
»Hier geht es um uns, Falk. Um Linna singt. Nicht um ihn. Er soll bleiben, wo der Pfeffer wächst.«
Jetzt weiß ich auch, was wir tun müssen. Wir können nicht mehr allein in unseren Zimmern bleiben – solange wir allein sind, sind wir seine willfährigen Opfer. Wer weiß, was er heute Abend noch im Schilde führt? Wir müssen es machen wie meine Vorfahren vor oder nach wichtigen Ereignissen. Wir müssen Kriegsrat halten, uns versammeln, uns aufeinander einschwören. Wir gehören zusammen.
»Oben«, verleihe ich diesem sicheren, stärkenden Gefühl in meinem Herzen das passende Wort. Ja, wir müssen zurück an die Oberfläche, uns aus dem Morast der Vergangenheit befreien. »Wir treffen uns oben auf dem Dachboden. Alle außer dem Freak. Um acht, wie früher zu den Proben. Ich wasche mich jetzt. Ich muss mich waschen nach diesem … diesem … Schund.«
»In Ordnung.«
Ich muss es nicht einmal allein tun. Stumm und in mein Duschtuch gehüllt sitze ich auf dem Schemel, während Falk einen Eimer heißes Wasser nach dem anderen in die Badestube trägt und in die Wanne leert, bis er mich schließlich mit beiden Armen hochhebt und wie ein Kind hineinsetzt, ganz vorsichtig, um mir den Rücken zu schrubben und die Haare zu waschen. Ich spüre, dass er immer noch wütend ist, doch er sagt nichts mehr, sondern wartet, bis ich mich so sauber fühle, dass ich wieder auftauchen kann und wir die Plätze tauschen. Er in der Wanne, die ihm viel zu klein und zu eng ist, ich neben ihm auf dem Schemel, den heißen Schwamm in der einen Hand und die andere bei ihm im Wasser. Mit geschlossenen Augen lehnt er im Zuber, seine kräftigen Arme auf den Rand gelegt, und wirkt dabei wie ein gefangener Fisch, der sich danach sehnt, zurück ins Meer zu kommen, doch ich sehe auch, dass er es genießt, von mir berührt zu werden und gemeinsam mit mir zu schweigen.
Ich lasse ihn noch ein Weilchen allein, um an die Zimmer der anderen zu klopfen und ihnen mitzuteilen, was sich für mich fast schon wie eine heilige Séance anfühlt: »Wir treffen uns um acht oben auf dem Dachboden. Bringt eure Instrumente mit.«
Ich habe nicht vor, Musik zu machen. Nein. Ich habe vor zu sprechen. Das ist viel wichtiger. Sie werden mir zuhören und glauben. Ab diesem Abend wird niemand mehr anzweifeln, dass ich die Wahrheit sage. Aber ich möchte, dass jeder sein Instrument bei sich hat, wenn ich es tue. Das wird uns Sicherheit schenken.
Keiner
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