Linna singt
einzeln ab. Falk zuckt gleichmütig mit den Schultern, weder ein Ja noch ein Nein.
Simon nimmt es als Ja. »Du auch, Tobias?«
Tobi äugt ratlos zu uns herunter. Die Enttäuschung steht ihm ins Gesicht geschrieben. So hat er sich die Hüttenabende zwischen all seinen Teelichtern nicht vorgestellt. Er schaut zu Maggie, die sich gerade mit einem Bündel Notenpapieren und einem gespitzten Bleistift auf die andere Seite neben Jules setzt, und dann zu mir, beinahe bittend. Hast ja recht, Tobi. So geht das nicht.
»Leute, das kann nicht euer Ernst sein, oder?« Ich schiebe meinen Teller weg und klappe Jules den Laptop vor der Nase zu. Er ist zu überrumpelt, um sich zu wehren. »Wir sitzen zusammen in einer Hütte, weit weg von zu Hause und unseren Jobs und Pflichten, und ihr wollt Büroarbeit machen, Arrangements schreiben, Skat kloppen? Sollen wir uns nicht gleich aus dem restlichen Brennholz ein paar Särge bauen?«
»Wir würden ja proben, wenn du keine Halsschmerzen hättest«, bemerkt Maggie treffsicher.
»Sind das denn die einzigen beiden Möglichkeiten? In Langeweile ersaufen oder proben?«
Simon dreht das Kartenspiel in seinen Händen hin und her, ohne mich dabei anzusehen, ist aber nicht bereit, es schon wegzulegen.
»Was sollen wir denn sonst deiner Meinung nach machen? Flaschendrehen spielen?«, fragt Maggie spöttisch. Falk grinst amüsiert in sich hinein.
»Wieso eigentlich nicht? War doch früher auch immer lustig«, meint Tobi und schiebt die Beine über den Rand der Ofenliege, sodass seine Füße Falks Schultern berühren. Falk rückt ein Stück zur Seite.
»Früher?« Ich schüttele belustigt den Kopf. »Das letzte Flaschendrehen liegt bei dir doch nicht länger als ein halbes Jahr zurück.«
»Gar nicht wahr.« Gespielt beleidigt verschränkt Tobi die Arme, zwinkert mir aber frech zu. »Ich bin zwanzig und ich hab es zuletzt mit fünfzehn gespielt.«
Ich kann mich nicht erinnern, wann ich es das letzte Mal gespielt habe, aber begeistert hatte es mich nie. Ich wurde meistens dazu genötigt, irgendwelche unnötigen, peinlichen Sachen anzustellen oder Jungs zu küssen, die ich nicht hatte küssen wollen. Allerdings gab es da auch die ein oder andere Ausnahme. Joschi zum Beispiel … den hatte ich küssen wollen. Und es war schön.
»Ach, das ist doch albern … Ist immer dasselbe. Diejenigen, die nicht die Wahrheit sagen wollen, wählen Pflicht oder lügen sich was in die Tasche.« Maggie schiebt die Noten zur Seite. »Das ist was für Teenager, die rausfinden wollen, wer in wen verliebt ist, und am Ende kommt es doch nicht ans Licht.«
Jules’ linke Hand spielt am Deckel seines Laptops herum, doch er klappt ihn nicht wieder auf. Erfreut stelle ich fest, dass sein alter Bartschatten zurückkehrt. Noch ein oder zwei Tage raue Bergwelt, Holzhacken und Männersaunieren, und seine Stoppeln sind wieder da. Mit der Rechten fährt er sich über die Wange, wobei seine Haut kaum hörbar knistert. »Dann lasst uns doch eine Erwachsenenversion von Flaschendrehen spielen«, schlägt er vor.
Maggie wendet verblüfft den Kopf, als sehe sie ihren Gatten das erste Mal in seinem wahren Licht. »Eine Erwachsenenversion? Wie soll die denn bitte aussehen?«
Okay, jetzt wird es interessant. Jules will Flaschendrehen spielen und Maggie steigt drauf ein.
»Na ja, wir kennen uns doch alle ganz gut.« Es ist mucksmäuschenstill geworden. Jeder schaut Jules an. Selbst Luna hechelt weniger getrieben als zuvor. Von wegen, Jules, denke ich, was immer mehr zur festen Gewissheit wird. Wir glauben höchstens, uns zu kennen. Nicht in hundert Jahren hätte ich gedacht, dass du Flaschendrehen spielen willst. »Also werden wir es merken, wenn jemand versucht, sich herauszureden. Und auf blöde Aufgaben verzichten wir.«
»Das alleine zieht noch nicht.« Maggie richtet sich auf, ihr Ehrgeiz ist entfacht. »Da müssen schon härtere Regeln her. Wie wäre es, wenn derjenige, der lügt, bestraft wird?«
»Prima. Ich wäre für Auspeitschen«, werfe ich emotionslos ein.
Falks Grinsen vertieft sich, aber er bleibt mit seinen Augen bei Luna.
»Ach Quatsch, doch nicht so, Linna«, ermahnt mich Maggie. »Ich meine das anders. Natürlich sollen die Strafen nichts Schlimmes sein, aber eben eine Motivation, die Wahrheit zu sagen. Sonst nichts!«
»Dann nimmt jeder Pflicht. Das wird auf diese Weise nicht funktionieren.« Endlich legt Simon das Kartenspiel zurück auf den Holzbalken. »Wir sollten uns ein wasserdichtes, faires
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