Lisa findet ihren Herrn (German Edition)
tausend Gedanken durch den Kopf. Ist es das, was sie gewollt hat? Sie ist sich darüber nicht sicher, aber dafür voller Neugier. Die Neugier über sich selbst lässt sie die Schläge auskosten. Das Unfassbare, sich mit einem Mann in ein solches im Grunde so simples Spiel zu verlieren, was sie, nüchtern betrachtet, gar nicht verstehen kann. Was möchte sie damit erreichen? Einen besonderen Kick? Eine Demütigung? Das braucht sie doch gar nicht! Wozu also sich schlagen lassen, was sie im Alltag ablehnt und ihrem eigenen Kind nie antun würde. Als Kind ist sie geschlagen worden. Nicht viel und häufig, aber dann, wenn die Eltern offenbar mit ihren Erziehungsmethoden nicht weiter wussten. Aus Hilflosigkeit. Altmodisch. Primitiv, würde Lisa sagen, wenn sie ihre Eltern nicht doch über alles lieben würde. Aber kommt es daher, aus einer Phase der Kindheit oder aus einem prägenden Erlebnis, dass sie sich heute von einem Mann schlagen lässt? Und dies in einem erotischen – oder vielleicht nur vermeintlich erotischen – Kontext? Lisa atmet heftig, denn der letzte Schlag brennt, so dass sie versucht, in den darauffolgenden hinein zu atmen, um den Schmerz insgesamt ‚aufzufangen‘ und zum schnellen Abklingen zu bringen. Jeder Schlag ist ein Geschenk meines Herrn , fordert sie von sich, genieße jeden Einzelnen! Doch jetzt windet sie sich und versucht, einem nächsten Schlag auszuweichen, weil der Letzte nun doch etwas schmerzt. Vermutlich macht es die Summe der Schläge auf eine Stelle.
Frank wartet ab. Er möchte Lisa nicht überfordern. Seine Hand legt sich auf die gerötete Haut. Das wirkt beruhigend. Lisas Antennen registrieren ein umfassendes Körpergefühl von fließender Wärme, einem Brennen auf der Haut und zunehmendem Verlangen. Frank nimmt Lisa in die Arme. Sie selbst kann die Umarmung nicht erwidern. Das Gefühl der Auslieferung überkommt sie. Ja, sie möchte die Schläge hinnehmen, und ja, sie möchte sich umarmen lassen, die Hände noch immer über ihrem Kopf gefesselt und ohne Chance, in den fremden Armen zu versinken. Frank drückt ihr die gefesselten Hände. Lisa weiß, dass sie seine Hand auch drücken muss, um zu signalisieren, dass die Durchblutung funktioniert. Eine taube Hand könnte keine Kraft ausüben.
„Alles OK?“
„Ja, Herr!“, haucht Lisa und wartet darauf, dass es weitergeht. Noch acht Schläge sind auszuhalten. Und nun ist ihr bewusst, wie sehr sie darauf wartet, die Prüfung weiter zu absolvieren. Ja, das war es, dieses Gefühl mehr zu wollen, sich zu spüren, den anderen zu spüren als jemanden, der eingreift in ihre Intimsphäre, der spürbar ist, nicht kalkulierbar ist, aber durch sein Eingreifen auch einen Willen ausdrückt. Der Zugriff als Bestimmung. Der Schmerz als Verlangen. Mein Schmerz aus seinem Verlangen , der Schmerz durch ihn als mein Verlangen , resümiert Lisa. Ist das nicht pervers? Klar, ist das pervers. Darum gilt SM als pervers, aber das macht den Reiz ja aus . Lisa lächelt, weil sie es absolut genießt, entgegen jeder Vernunft und jeder Lebensregel, die sie über Jahre gelernt hat, sich unter einem Deckenhaken den Arsch versohlen zu lassen. Das ist pervers ... und es ist toll!
„Ja, Herr, ich danke Ihnen für die Strafe!“ Lisas Stimme bezeugt Einverständnis und Genugtuung.
„Das ist schön“, sagt Frank, umarmt sie erst und streicht ihr dann zärtlich über die Haut. Er löst mit einem Ruck die gekonnt geknüpfte Schlinge. Das Seil gibt rasch nach, und Lisa kann ihre Arme senken.
Als Lisa die gelben Punkte sieht, dauert es einen Moment, bis es ihr klar ist, dass sie nicht unter einem Sternenhimmel liegt, der ihr ein unendlich weites Universum vermittelt und dass es auch keine blinkenden Flugzeuge sind, die durch die Nacht huschen, sondern ein schlichter Zeiger, der über die Leuchtziffern eines Weckers tickt. Wie banal sie aus einem tiefen Traum herausfindet in das Schlafzimmer, in dem sie eingerollt neben einem schlafenden Mann liegt. Seinen Atem spürt sie über ihr Ohr streichen, das Universum ist zu einem Kreis eines Ziffernblatts geschrumpft, die gedämpften Laute, die durchs offene Fenster dringen, sind weltlicher Art. Lisa ist jetzt hellwach.
Ein leichtes Ziehen im Unterleib erinnert sie an das heftige Finale ihrer Auslieferung und Gefangenschaft. Irgendwann hatte ihr Frank die Arme auf dem Rücken zusammengebunden und die Handfessel wiederum in das Seil am Deckenhaken eingeklinkt. Beim Anziehen des Seiles war sie unweigerlich gezwungen,
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