Lisa geht zum Teufel (German Edition)
Wuschelkopf und ein verschmitztes Lächeln. Aber warum nannte sie ihren Enkel Luca auf einmal Luke? Vielleicht hatte Lisa sich auch nur verhört.
»Schön, dass du da bist«, sagte Yolanda mit spanischem Akzent und nahm sie erst einmal in den Arm. Und wie froh Lisa erst war. Yolanda war praktisch Familie. Sie kannten sich seit dreißig Jahren. Yolanda war immer an ihrer Seite gewesen, auch während des fast zweijährigen Rosenkriegs mit Felipe, den auch ihre Nachbarin früher als »el diablo« bezeichnet hatte. Dass sie immer noch mit ihm in Kontakt stand, war unvermeidlich. Felipe bezahlte Yolanda schließlich dafür, dass sie nach dem Rechten sah, den Garten pflegte und das Haus so gut es ging in Schuss hielt. Bei ihr hatte Lisa Spanisch gelernt, jedenfalls genug, um ein Leben in Spanien zu meistern. Dennoch sprach Yolanda seit einigen Jahren überwiegend Deutsch mit ihr. Der charismatischen alten Dame fehlte allem Anschein nach die Herausforderung. Nach vielen Berufsjahren als Deutsch- und Englischlehrerin am hier ansässigen Gymnasium sah Yolanda in ihrem Sommergast sicher eine Möglichkeit, die alten Sprachkenntnisse herauszukramen und am Leben zu halten.
»Tut mir leid wegen der Unordnung«, sagte Yolanda mit Blick auf die zur Fahrradwerkstatt umfunktionierte Terrasse. »Wir hatten heute Morgen kein Wasser und …«
»Macht ja nichts, Hauptsache, Luca kann sein Fahrrad richten«, erwiderte Lisa und wandte sich dem Jungen zu, den sie zuletzt vor sieben Jahren im Kinderwagen gesehen hatte.
»Luke«, berichtigte sie der Kleine trotzig. »¡Me llamo Luke!«
»Er ist ein großer Fan von Krieg der Sterne «, erklärte Yolanda und zuckte mit den Schultern. Der Stöpsel hielt sich also für Luke Skywalker.
Lisa hob die Hand, als ob sie einen Eid schwören würde, und setzte dabei eine ernste Miene auf. »¡Que la fuerza te acompañe!«, sagte Lisa so bedeutungsvoll wie möglich. Der intergalaktische Gruß eines Yedi-Ritters kam augenscheinlich gut an, so herzlich, wie er ihr jetzt die Hand reichte. Zugleich hoffte Lisa inständig, dass die »Macht« auch mit ihr sein würde. Ein erneuter Anfall von Müdigkeit stellte sich ein, und der Gedanke, nun doch allein in ihrem Haus zu sein, munterte sie nicht gerade auf.
Der Einzug in das Feriendomizil war normalerweise eine Sache von maximal einer Stunde. Im Wohnraum, der an die Terrasse zum Garten grenzte, waren lediglich zwei Sessel und eine Couch von ihren weißen Laken zu befreien und die wenigen Holzmöbel vom Staub der letzten Monate. Einmal feucht über den Boden wischen, die Sachen aus dem Koffer in den Schrank räumen. Fertig. Normalerweise! Lisa schaffte es heute gerade mal, eines der weißen Laken halb vom Sessel zu ziehen – in Zeitlupentempo und in Gedanken an ihr jüngstes »Waterloo«. Hier hätte sie mit Reiner kuscheln, seine Nähe spüren können. Lisa musste sich augenblicklich setzen. Wieder ein gescheiterter Beziehungsversuch. Erst die katastrophale Ehe mit Felipe und dann ein Fiasko nach dem anderen, für die es die unterschiedlichsten Gründe gab: Reiner hatte sie benutzt, um an einen guten Job heranzukommen. Gerhard, der Typ aus der Speeddating-Bar, wollte, dass sie, die »dekadente und denaturierte Städterin«, mit ihm aufs Land zieht. Wolfgang stand auf Fesselspiele und hatte sie für »zu verklemmt« gehalten. Heinrich war Frühaufsteher, der am liebsten jedes Wochenende mit ihr zum Wandern in die Berge gefahren wäre. Ihm war sie nicht sportlich genug gewesen. Lisa zwang sich förmlich dazu, diesen Gedankenstrom schleunigst abzustellen. Die Vernunft übernahm das Kommando. Klar, je älter man wurde, desto schwieriger war es, jemanden zu finden, der zu einem passte. Jeder hatte schon sein Leben gelebt, jeder hatte Narben, Eigenarten, Marotten, war auf seine Weise eingefahren. Wenn man jung war und selbst noch ein unbeschriebenes Blatt, das sich vom Wind sorglos treiben ließ, hatte man weniger Ecken und Kanten, an denen sich der andere stoßen konnte. Dabei hieß es doch, dass jeder Topf seinen Deckel finden würde. Zumindest hatte ihr Vater das zeitlebens gesagt. Früher hatte das vielleicht gegolten. Für ihren Topf gab es keinen Deckel, jedenfalls keinen, der zu ihr passte. Gerade als sich Lisa dazu aufraffen wollte, auch die restlichen Möbel von den Laken zu befreien, begann ihr Handy, lautstark zu klingeln. Vroni! Rangehen oder erst morgen zurückrufen? Lieber gleich rangehen. Ein bisschen von Vronis Gequake würde sie sicher
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