Lisa geht zum Teufel (German Edition)
weißem Rollstuhl auf blauem Grund saß. Alt und gebrechlich, schoss es ihr durch den Kopf. Er musste sie für eine tattrige alte Frau halten, die sich nicht mehr lange auf den Beinen halten würde. Gegen einen Rollstuhl hätte sie angesichts der bleiernen Müdigkeit und der Schwere in ihren Beinen, die die Erdgravitation momentan zu vervierfachen schien, im Moment gar nichts einzuwenden. Der Gentleman auf dem Behindertensitzplatz musterte sie immer noch mitleidig und war offensichtlich wenig von ihrer Standfestigkeit überzeugt. Blick abwenden. Aber wohin? Auf der linken Seite hatte sie ein kleiner Junge im Visier. Seine großen Augen durchbohrten sie förmlich.
»Jetzt starr die Frau nicht so an«, maßregelte die dazugehörige junge Mutter ihren Sprössling, der sich aber nicht darum scherte und sie weiter wie ein Museumsexponat ansah. Wenigstens schenkte ihr die Mutter des Jungen ein erfrischendes Lächeln, was Lisa etwas aufmunterte. Das Kleid, das die junge Frau trug, hatte jedoch den gegenteiligen Effekt. Frische Farben, Blumenmuster, körperbetont geschnitten. Das Modell hatte sie gestern in der Hand gehabt. Ihres vom gleichen Designer lag jetzt im Schrank, genau wie die anderen Sachen. Leinen war wieder in, zumindest hatte sich Lisa dies letzte Nacht gegen halb drei erfolgreich eingeredet, bevor sie sich doch noch dazu aufgerafft hatte, um ihrer Freunde in Marbella willen den Koffer zu Ende zu packen. Urplötzlich ertönte von hinten der vertraute Dreiklang einer ankommenden SMS. Sie zuckte augenblicklich zusammen und drehte sich um. Ein junges Mädchen stierte auf ihr Handy und las die Kurznachricht mit finsterer Miene.
»Idiot«, zischte das junge Ding und tippte sogleich ziemlich abgeklärt eine Replik. So fies, wie sie dabei grinste, hatte die Antwort sich gewaschen. Vielleicht sollte sie das Mädchen bitten, Reiner auch etwas in der Art zu schreiben. »Idiot« war das richtige Wort. Wie konnte sie nur auf ihn hereinfallen? Wie hatte sie sich für ihn nur so ins Zeug legen können, bei ihrem Chef und den Kollegen? Ihrer Empfehlung verdankte er seinen Job, und Mitte letzter Woche hatte Lisa ihm auch noch das lukrativste Absatzgebiet des Verlags vermittelt. Er wusste, dass der Boss sie in so gut wie allen Angelegenheiten nach ihrer Meinung fragte und ihren Rat gerne annahm. Diese hinterlistige Ratte. Alles geplant. Lisa holte tief Luft und spürte, wie sie sich dabei etwas aufrichtete. Wut konnte ungeahnte Kräfte mobilisieren. Noch einmal durchatmen. Du hast ein schönes Leben, Lisa. Du hast alles, was du brauchst. Bisher warst du allein auch glücklich. Beruhig dich. Er ist unwichtig. Es gibt noch andere interessante Männer, sagte sie sich und nahm sich vor, gleich nach ihrer Rückkehr ein paar Fäden in die andere Richtung seiner Karriere zu ziehen. Nicht auszudenken, wenn dieser Typ sich in ihrer Abwesenheit im Verlag einschleimte und sie ihm täglich unter die Augen treten müsste. Bis zur Endhaltestelle am Münchner Flughafen hatte sie sich bereits fünf Strategien zurechtgelegt, die sie während des Flugs auf ihrem Smartphone zu notieren gedachte. Du packst das, Lisa, ermutigte sie sich. Marbella wartet auf dich. Dein geliebtes Marbella!
»Idiot«, kam es ihr trotzdem ganz spontan beim Aussteigen über die Lippen, und auch noch so laut, dass sich gleich drei Köpfe nach ihr umdrehten. Köpfe von Männern, die sich offenbar angesprochen fühlten.
Wen wundert’s!
Die Strecke München–Málaga war mit nur zwei Stunden Flugzeit ein Katzensprung, doch Lisa war nach der anschließenden Busfahrt in Richtung Marbella so erschöpft, dass sie sich ein Taxi vom Busbahnhof zu ihrem Feriendomizil nahm. Es lag dank Felipes erlesenem Geschmack und sicherem Gespür für Immobilien in Traumlage im Hinterland der »Milla de Oro«, der sogenannten »Goldenen Meile« von Marbella. Das Haus musste mittlerweile locker eine Million Euro wert sein, überlegte Lisa und freute sich erneut darüber, dass sie ihrem Exmann nach ihrer Trennung vor zwanzig Jahren zumindest ein lebenslanges Wohnrecht im Erdgeschoss der Villa hatte abtrotzen können – nach hartem Kampf.
Der letzte Kreisverkehr auf dem Bulevar del Príncipe Alfonso von Hohenlohe – eine mehrspurige Hauptstraße, die parallel zur Küste verlief und mit einer Ferienanlage nach der anderen glänzte – war fast erreicht. Lisa ließ ihren Blick über die weißen Hotelanlagen schweifen, die teilweise so weitläufig waren, dass sie sich von der mehrspurigen
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