Lisa geht zum Teufel (German Edition)
ihre Kundin.
»Natürlich, meine Liebe«, presste die Blonde mit tschechischem Akzent aus der schmalen Lücke hervor, die ihr die Lippen noch ließen, bevor sie sich im Antlitz des Löwen selbstgefällig sonnte.
»Ich geh schon mal rein«, sagte Lisa. Annes Nicken und ihr verschmitztes Lächeln verrieten, dass sie nur allzu gut verstand, weshalb Lisa es keine Minute länger im Vorzimmer aushielt.
»Wenn das so weitergeht, bin ich bald arbeitslos. Aber ist doch kein Wunder. Mit all den Vorher- und Nachher-Shows im Fernsehen … Lifting-Dokus, Brustvergrößerung live im OP. Es rennen ja schon Sechzehnjährige in die Plastische. Wobei … wenn die’s verkorksen, hab ich wieder alle Hände voll zu tun … Hautrettung. SOS! Erst müssen die Falten weg, und dann wären sie froh, wenn sie wieder ein paar hätten. Lisa, die Welt ist so was von abartig. Aber was red ich, ich lebe schließlich davon.« Annes Wortschwall war nicht zu bremsen, wenn ihr Opfer mit Pads auf den Augen und mit grüner Schlammmaske wehrlos vor ihr auf der Pritsche lag. Schallwellentherapie, schoss es Lisa amüsiert durch den Kopf. Das könnte erklären, warum diverse Cremes mit den gleichen Substanzen bei ihr zu Hause keine Wirkung zeigten. Das Zeug drang im Trommelfeuer von Annes Stimme wahrscheinlich tiefer in die Poren ein.
»Na ja, so ganz dezente Eingriffe. Warum eigentlich nicht?«, säuselte Lisa, darum bemüht, ihre Maske ja nicht vorzeitig abbröckeln zu lassen. Bei Anne herrschte während einer Behandlung striktes Konversationsverbot. Ein Monologverbot gab es jedoch nicht. Auf diese Weise wurde man zwangsläufig zum Bauchredner.
»Nicht bewegen«, schimpfte Anne sogleich. »Dezent ist dehnbar – im wahrsten Sinne. Mit der Nase oder ein paar Fältchen um die Augen fängt’s an. Das ist wie eine Droge. Erst Gras, dann Koks, dann die harten Sachen, und am Ende setzen sie sich den goldenen Schuss. Du glaubst gar nicht, was ich schon alles gesehen habe, und die meisten geben es nicht mal zu. Glattes Gesicht und runzliger Hals, mal ganz abgesehen von den Händen. Die Altersflecken kriegt man sowieso nicht weg. Nur der Friseur weiß Bescheid. Die Nähte am Haaransatz … Sei froh, dass du so was nicht brauchst«, sagte Anne.
Das ging runter wie Öl. Lisa seufzte und genoss die tiefenentspannende Wirkung des Wärmestrahlers, der ihr ins Gesicht schien. Anne kümmerte sich unterdessen mit der üblichen Hingabe um die Pediküre. Die Stunde musste man möglichst effizient nutzen.
»Hab ich dir schon erzählt, dass Christina jetzt modelt?«
Lisa verneinte mit sonorem Brummlaut.
»Die war in Madrid auf ’ner Fashion-Show bei Juan Duos. Modedesigner. Kennste nicht, oder?«
Brumm, brumm, was so viel wie »Nein« bedeutete. Anne verstand es jedenfalls.
»Old ist beautiful. Der hat Omis auf den Laufsteg geschickt, sagenhaft. Typgerecht angezogen. Die meisten waren nicht mal sonderlich hübsch. Der Ausdruck zählt, das innere Gleichgewicht. Jede Falte erzählt eine Geschichte. Ich find das toll. Gott, ich mach mir noch mein eigenes Geschäft kaputt. Auf alle Fälle ist Christina jetzt sehr gefragt. Sie hat sogar schon eine Agentin.«
Brumm?!
»Ja. Stell dir vor. Sie ist faktisch in jedem Modekatalog für Übergrößen.«
Dass Christina, ihre Nachbarin, die sie für Anne akquiriert hatte, sich nun für Kataloge ablichten ließ – Respekt. Und kein Wort hatte sie bisher bei ihr darüber verloren. Trotzdem. Das waren Ausnahmen. Anne wusste sicher genau, dass sie sich ihr Geschäft gar nicht kaputtreden konnte. »Jung und dynamisch bleiben« hieß die Zauberformel, und nicht nur im Berufsleben. Lisa war sich dessen absolut sicher. Hätte sie sich sonst so lange ganz oben gehalten? Gegen den Zustrom junger Kolleginnen, die wie Hyänen auf ihren Posten lauerten und ihren Chef umgarnten? Und dann diese ganzen blöden Sprüche, von wegen, dass man nur so alt war, wie man sich fühlte. Angeblich fing das Leben ja erst mit sechsundsechzig an. Udo Jürgens sang das schon weit vor dem Zeitalter deutlich steigender Lebenserwartungen. Wer weiß, wenn Jürgens den Song heute geschrieben hätte, wäre bestimmt von siebenundsiebzig die Rede. Klingt aber gesungen nicht so gut, musste Lisa sich in dem Moment eingestehen. Alles Blödsinn! Sich jung zu fühlen ist eine Sache, alt auszusehen eine andere, und für Letzteres gab es nicht den geringsten Grund. Sie konnte sich die kosmetische Behandlung leisten. Es tat gut, und man fühlte sich besser. Daran
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