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Lisa

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Titel: Lisa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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verhagelt. Entweder bin ich in einer Stunde zurück, oder wir hören uns morgen wieder. Ich lege mich hin und lese ein bisschen.

 
    4
     
    … seit zwei Stunden am Fernseher. Ich will nur an diesem Tisch sitzen und reden und von draußen nichts wissen. Keine Ahnung, ob mir jemand zuhört, aber ich fühle mich hier sicher.
    Erst acht. Passt mir nicht. Mir wäre lieber, Alex läge längst im Bett.
    Hilgert habe ich nicht erreicht, dafür mit Christian geredet. Er sagt, ihm ist nichts aufgefallen. Ich wette, der ist nicht mal hingefahren. Ich weiß ja, dass er mich für verrückt hält. Außerdem ist er geiziger als Dagobert Duck, und für so eine Aktion das Auto aus der Garage zu holen erscheint ihm sicher überflüssig.
    Ich könnte Mike fragen. Stellt euch jemanden vor, der zwei Meter groß ist und breit wie ein Schrank, der sich zudem vor rein gar nichts fürchtet und auf jede Gefahr losgeht wie ein Stier. So einen könnte man in meiner Situation brauchen. Oder?
    Na, ich verzichte lieber. Ich kenne ihn zu gut. Der wäre imstande, das ganze Haus zu zerlegen. Einen unzurechnungsfähigeren Menschen habe ich nie kennengelernt. Der rauscht durchs Leben wie nach einer Mandelkernamputation.
    Oft muss ich daran denken, was für ein saublöder Zufall das war. Kann die Hexe nicht einfach die Wohnung nebenan nehmen? Bei denen wäre wenigstens etwas zu holen gewesen.
    Manchmal frage ich mich, ob es überhaupt ein Zufall war. Ich weiß nicht. Vielleicht haben wir etwas übersehen. Vielleicht ging es genau um mich, oder um den Laptop, oder um irgendein Foto auf dem Laptop.
    Ich meine natürlich nicht die Sauereien. Ich denke eher, ich könnte durch Zufall etwas aufgenommen haben, was sie … ich könnte sie fotografiert haben, und sie hat das bemerkt oder … ich weiß auch nicht. Vielleicht habe ich sie gesehen. Vielleicht habe ich ein Foto von ihr gehabt. Keine Ahnung.
    Deswegen ist Hilgert damals auch zu mir gekommen. Weil er nach Regelmäßigkeiten gesucht hat. Weil er herausfinden wollte, ob die Opfer etwas miteinander zu tun hatten. Schwer vorstellbar bei Leichen in Afrika, Asien und halb Europa. Aber er ist Polizist, irgendetwas musste er machen. Damals hatten sie die SOKO gerade gegründet, weil der Innenminister fallende Beliebtheitswerte hatte, und in solchen Nöten müssen spektakuläre Erfolge her.
    Zu dem Zeitpunkt stand über die Frau bereits hier und da etwas in der Zeitung. Im SPIEGEL kam mal etwas, die kannten allerdings nur ein paar Puzzleteile und hatten keinen Überblick, von welch enormer Dimension die Sache war. In einer anderen Zeitung stand, dass sie bei einem Dutzend Morden dabei war oder dass es zumindest so aussieht als ob, und mehr wusste außer der Polizei niemand.
    Sie hatten ja nichts, keine Augenzeugen, keine Personenbeschreibung, keine Haarfarbe, nichts, komischerweise nicht einmal die Nationalität. Bei ihren Kumpanen wussten sie das meistens, das machte Hilgert stutzig, doch zu diesem Zeitpunkt hatte er sich mit der Gen-Geschichte noch nicht besonders intensiv beschäftigt. Vor ein paar Wochen erstsagte er zu mir, wie sehr er sich ärgert, dass er das verschusselt hat. Murphys Gesetz!
    Wie auch immer. Ich weiß bis heute nicht, ob es Zufall war, dass sie mein Türschloss ausgewählt hat, oder ob sie irgendetwas Spezielles bei mir gesucht hat. Ich hoffe so sehr, dass es Zufall war.
    …
    Er liegt im Bett. Das Kind ist braungebrannt, unglaublich. Er lässt sich nicht eincremen, und selbst tut er es sowieso nicht. Habe allerdings Verständnis für den Standpunkt.
    Diese langen, dünnen Beine! Ich sehe immer mehr seine Mutter in ihm. Er hat ihre Figur. Ständig jemanden vor sich zu haben, der …
    …
    Ich habe Alex Backgammon beigebracht, er spielt schon richtig gut. Ist kein allzu anspruchsvolles Spiel, aber trotzdem. Habe ich häufig gespielt, als ich mit den Türken gearbeitet habe. Keine Werkstatt, wo die nicht gespielt haben. Wir haben zwei Stunden gearbeitet und sechs Stunden gespielt und zwei Stunden gegessen und drei Stunden gespielt, und wenn wir Bewegung brauchten, haben wir uns vor die Scheibe gestellt und mit den Wurfpfeilen geschossen, die damals noch nicht Darts hießen.
    Kein Wunder, dass es mit dem Staat nicht so recht hinhauen will. Riesenego und wenig auf dem Tisch. Ich würde ja gern sagen, es sind nette Leute, aber nicht mal das stimmt. Ich war acht Monate in Ankara, und ihr könnt über die Menschen dort einiges sagen, nur nett, nett waren sie nicht. Nett waren sie in

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