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Lisa

Lisa

Titel: Lisa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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und krallt sich eine Handtasche. Oder beißt es in die Handtasche? Ich weiß es nicht, ich war leider nicht dabei. Eigentlich keine schlechte Methode, solange keiner den Adler abschießt.
    Trotzdem müssten sie so einen bald erwischen. Die Zahl der Leute, die einem Vogel solche Kunststücke beibringen können, ist bestimmt begrenzt, die kennt man doch, zumindest im Greifvogelgewerbe.
    …
    Moment noch, ich habe hier ein kleines …
    …
    Also, Hilgert. Er sitzt bei mir. Er sagt, er glaubt dem Alten. Er glaubt nicht, dass die Einbrecher echtes Verbandszeug um den Kopf getragen haben, aber irgendeine Art Maske wird es schon gewesen sein. Und er glaubt, dass unter einer dieser Masken Lisa gesteckt hat.
    Seine Augen, als er diesen Satz gesagt hat, werde ich nie vergessen. Leuchtend. Gierig. Grell. Vollkommen besessen.
    Es kann sein, meint er, dass sie groß und stämmig ist, sodass der Alte sie in seiner greisen Panik für einen Mann gehalten hat. Dafür spricht auch, dass sie keine Probleme damit hat, Leute zu erwürgen, was nicht gerade leicht ist. Kleine nette Damen können niemanden erwürgen. Kleine böse Damen auch nicht, womit ich sagen will, eine Frau, die das fertigbringt, muss kräftig sein, jedenfalls um einiges kräftiger als das Opfer, es sei denn, dieses ist narkotisiert oder bewusstlos oder aus anderen Gründen nicht in der Lage, sich zu wehren.
    Ich schenke ihm also fleißig nach, und nach dem dritten Glas, es war ja erst elf Uhr vormittags, Mittag war es jedenfalls noch nicht, zwischen dem dritten und dem vierten Glas setzt er mir auseinander, wie er die Sache mittlerweile sieht.
    Er meint, Lisa besorgt sich immer wieder neue Kumpane, mit denen sie Raub- und Mordzüge unternimmt, und wenn sie warum auch immer genug von ihnen hat, entledigt sie sich ihrer auf die endgültige Art. Na ja, sage ich, aber wenn das stimmt, wieso findet man von diesen Kumpanen keine Leichen, wieso hört man nicht mal, dass sie jemandem abgehen? Das bringt Hilgert nicht aus dem Konzept, er sagt, es kommt ständig jemand abhanden, der nicht mehr gefunden wird. Nicht einmal bei uns steht es in der Zeitung, wenn irgendein kleiner oder größerer Gauner eines Tages nicht mehr am Arbeitsplatz erscheint, wie immer der Arbeitsplatz aussehen mag. Und ein Tschetschene oder Sizilianer mehr oder weniger, das wird schneller vergessen als das bedeutungsloseste Handballergebnis. Die meisten kümmert es nicht, und selbst die, die es kümmern sollte, denken bald nicht mehr daran.
    Und außerdem, sagt er, ich will dich ja nicht beunruhigen,aber weißt du, wie viele Leute entführt werden? Ein paar, glaubst du? Irrtum.
    Irrtum, sagt er, Lisa hat Leute entführt, das weiß ich. Leute entführt, sage ich, bist du sicher? Bin ich, sagt er, in Tirol wurde ihre DNA im Zimmer einer verschwundenen Kinderdorftante gefunden. Wie es in anderen Ländern aussieht, keine Ahnung. Die entführt Leute, kannst du Gift drauf nehmen.
    Darauf bin ich still. Also, sagt er, welche Fragen sind offen? Gehen wir noch mal alles durch.
    Woher kommt sie, sage ich.
    Er hebt den Daumen. Nummer eins. Woher kommt sie. Nummer zwei.
    Wohin verschwindet sie, sage ich.
    Er hebt den Zeigefinger. Ganz wichtig, sagt er. Wohin verschwindet sie? Wo lebt sie?
    Nummer drei, sage ich: Was will sie?
    Er nickt und streckt den Mittelfinger hoch. Das wären die drei Fragen, deren Antworten entscheidend sind. Wenn wir die Fragen beantworten können, wissen wir, wer sie ist und wo sie ist.
    Er war da schon ein wenig angesäuselt, muss man dazu sagen. Kurz davor hatte ihn seine Frau verlassen, das wusste ich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht, so weit waren wir beide miteinander erst später.
    Okay, sage ich, was ist sie, eine Psychopathin?
    Da kriegt er einen Lachkrampf, dann schaut er mich mit schweren Augen an und sagt: Ein bisschen mehr als das. Und beginnt wieder zu lachen, beinahe hysterisch, er lacht, bis er sich die Augen wischen muss.
    Heute bin ich beinahe sicher, dass er es da bereits gewussthat, zumindest geahnt. Damals verstand ich den Satz natürlich falsch. Mehr als eine Psychopathin, das hieß für mich nur Soziopathin plus Killerin plus Räuberin plus Diebin, alles, was einem so einfällt, aber nicht das, was es schlussendlich war. Was es war. Was es ist. Was es sein wird.
    Doch das kann normal auch keinem einfallen. Hilgert ist ein guter Polizist.
    …
    Das war Alex, habt ihr ihn gehört? Hat einen Albtraum gehabt. Von dem, was er geträumt hat, könnte einem direkt

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