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Lisa

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Titel: Lisa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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dass wir weiß der Himmel wie oft Bilder sehen, die gefälscht sind. Vielleicht sogar Filme.
    Ich will sagen, das, was wir sehen, stimmt nicht, es ist manipuliert. Nicht immer, davon rede ich nicht, ich bin kein Paranoiker und zähle nicht zu denen, die überall Verschwörungen vermuten und denken, sie werden von der CIA verfolgt. Aber wir dürfen die Tatsachen nicht ignorieren: Die Bilder, die man uns zeigt, können gefälscht sein. Wir leben in einer Zeit, in der wir Bildern nicht mehr glauben dürfen, genauso wenig wie Filmen. Was bedeutet das? Was verändertdas? Das heißt doch, dass der Begriff der Realität … nein, der Begriff …
    Ich kriegs nicht zusammen, ich muss noch mal darüber nachdenken. Wir waren ja eigentlich beim alten Herrn und seiner Balkonbeichte.
    Als er zu der Stelle mit den Leuten kommt, die sich einen ganzen Verbandskasten über den Kopf gezogen haben, packt es Hilgert genauso wie mich vorher. Was reden Sie denn da für einen Blödsinn, schreit er, was meinen Sie denn damit, was soll das heißen, Verbandszeug, Verband um den Kopf gewickelt, was soll ich mir darunter vorstellen, die sind mit Verbandszeug um ihre Runkelrüben herummarschiert, wollen Sie mich verarschen?, und so weiter.
    Hilgert taumelt wie kurz vor der Ohnmacht, ein Bluthund mit einem Puls von zweihundertsechzig dürfte so aussehen. Quatsch, was weiß denn ich, wie so ein dämlicher Köter aussieht. Aber Hilgert starrt den alten Herrn an, als wollte er ihn aussaugen, das ist keine Übertreibung.
    Sie haben die Frau nicht gesehen? Nein, ich habe keine Frau gesehen. Sicher nicht? Ich bin … ich war … da waren die Pflanzen … ich hatte Angst … ich wollte mich nicht bewegen … Der Arme sabbert und stammelt. Hilgert merkt, dass der alte Mann glaubt, das Falsche zu sagen, dass er zu nervös ist, um überhaupt noch etwas Vernünftiges von sich zu geben, und lässt ihn in Ruhe. Er nimmt die Personalien auf, und wir gehen hinüber zu mir.
    Na, und da hat er mir seine Theorie vorgetragen. Jetzt reicht es mir aber, ich muss hier …
    …
    Ich musste Fledermaus spielen. Mir ist klar, dass alte Häuser speziell auf dem Land so ihre Fugen und Ritzen haben,aber eine derartige Insektenhölle wie das hier hat die Welt noch nicht gesehen. Alex fürchtet sich vor Spinnen, obwohl ich ihm das auszutreiben versuche. Wir Männer haben da ja dieses rüde Ideal, dass der Sohn kein Weichling wird, dabei ist das Nonsens. Wieso sollte er ein Weichling sein, nur weil er kein Interesse daran hat, dass auf ihm Spinnen herumkriechen? Doch so ist es nun einmal, ich muss diesen Reflex in mir bezwingen, und so räume ich brav die Tiere weg und gehe auf Mückenjagd.
    Am meisten hat er Angst vor Schwarzen Witwen auf dem Klo. Wenn ihr mich fragt, sind das die typischen Yukkaspinnen. Urban legends. Es gibt keine Schwarzen Witwen, die einem in die Eier beißen.
    Nun, niemand kann leugnen, dass Männer diesbezüglich sowieso ganz schön lebendige Phantasien haben.
    Das ist nicht nur ein Tick von ihm, es gibt viele Leute, die, sobald die eine Toilette betreten, sofort an Schwarze Witwen denken. Ich würde gern wissen, woher dieser Mythos kommt. Ich habe hier am ersten Abend eine Kreuzspinne gesehen, und nicht dass ich die auf meinem Hintern brauche, aber die wohnen doch nicht unter der Klobrille.
    Und wie der sich aufführt, wenn er eine Hornisse sieht. Das sind große Wespen, sage ich, die tun dir nichts, wenn du ihnen nichts tust. Was zwar eine Lüge ist, denn die sind so zurechnungsfähig wie ein besoffener Nazi in der Vorstadtkneipe, den gerade die Freundin verlassen hat, und wenn sie einen schlechten Tag haben, tun sie dir trotzdem was. Aber man muss einem ängstlichen Menschen ja nicht alles auf die Nase binden. Jedenfalls schießt er den ganzen Tag auf alles, was durch die Luft summt.
    Ich verstehe nicht, wieso ihm Schlangen keine Angst machen,zumindest solange sie nicht hochgiftig sind. Die betrachtet er mit zoologischem Interesse. Der Knabe ist genauso widersprüchlich wie seine Mutter. Na ja, ich gebe zu, von mir mag auch ein Teil stammen.
    Neulich hat er mir erzählt, es gibt einen Fall, da hat so ein Vogeldompteur seine Adler und Falken oder was weiß ich, was der in seinem Stall hatte, der hat seine Flugwesen darauf trainiert, Handtaschen zu klauen.
    Ich glaube es ihm. Zumindest glaube ich ihm, dass er es gelesen hat. Ob alles stimmt, was man liest, ist eine andere Sache.
    Ich stelle mir das gerade vor: Ein Riesenvieh kommt aus dem Himmel gesaust

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