Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lisa

Lisa

Titel: Lisa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
Vom Netzwerk:
ziehen, in eine Tankstelle zu gehen, wo sie mich gut kannten, da in die Luft zu schießen und Überfall zu brüllen. Ichhabe nur drei Sekunden durchgehalten, dann ziehe ich die Mütze vom Kopf und grinse blöd, falscher Alarm, keine Aufregung, ich bin es nur. Der Tankwart, bei dem ich sonst immer mein Moped auftanke, ist im Gesicht rot wie Kater Tom im Zeichentrickfilm, wenn ihm vor Wut die Ohren rauchen. Er erwischt mich an der Jacke, ehe ich abhauen kann, und verpasst mir eine Abreibung. Der fand das gar nicht komisch. Fehlerhafte Antizipation könnte man das nennen. Na ja, ich war achtzehn.
    …
    Hilgert gibt Gas. Denen in der SOKO hat er noch einmal so richtig Druck gemacht. Alles, was in dieser Nacht irgendwo in der Stadt passiert ist und zu Protokoll genommen wurde, müssen sie ausgraben, jede Geschwindigkeitsübertretung, jede Vorstadtrauferei, jede Anzeige wegen Lärmbelästigung, jedes Urinieren auf offener Straße, jede UFO-Sichtung, jeder Fall von weißen Mäusen und Ausnüchterungszelle, alles wird überprüft und neu bewertet.
    Besonders die Verbände haben es Hilgert angetan. Er glaubt zwar nicht, dass es Verbände waren, aber selbst wenn es keine waren, könnten andere Zeugen den gleichen Wahrnehmungsfehler gehabt haben wie der Leberaugennachbar. Kurzum, es wird nach Menschen gesucht, die in dieser Nacht einen Haufen Leute mit Verbandszeug um den Kopf gesehen haben wollen. Und weil das nichts zutage fördert, wird jede einzelne Meldung im zeitlichen Umfeld von zwei Jahren überprüft. Mehr ist logistisch nicht zu schaffen, jede Meldung innerhalb von zwei Jahren, die auf die Verbandskastenbande hindeuten könnte. Und das Ergebnis?
    So ein Scheiß, ich habe schon wieder Nasenbluten.
    Na was war das Ergebnis wohl? Außer dass seine Kollegenin der SOKO Hilgert gehasst haben wie die Krätze? Nichts. Null. Keine Spur. In Luft aufgelöst. Nie gesehen. Wie Geister.
    Kurz darauf hat er mir die einigermaßen tragische Geschichte seiner Ehe erzählt. Die ist gescheitert, weil seine Frau aus Berufsgründen woanders gelebt hat.
    Ja, ich weiß, dass es Leute gibt, bei denen das klappt. Fernbeziehungen können wunderbar funktionieren. Doch was für Leute sind das, bei denen die funktionieren? Ich meine, wir reden in solchen Fällen ausnahmslos von Beziehungen zwischen zwei selbständigen, unabhängigen Menschen, die einander viel Freiraum geben, die die Leine lang lassen können. Sobald einer von beiden … also sobald ein diesbezügliches Ungleichgewicht eintritt, wird es kritisch.
    Menschen, die nicht so veranlagt sind, die nicht geschaffen sind für diese Art der Beziehung, obwohl sie möglicherweise sogar glauben mögen, dass sie es sind, die lernen nämlich sehr schnell jemanden kennen, der Sand ins Getriebe bringt. Das ist in Wirklichkeit genau das, was sie wollen. Sie wollen jemanden, neben dem sie einschlafen können. Sie wollen jemanden kennenlernen.
    Sie mögen es selbst nicht wissen, trotzdem ist das eine Wahrheit ihres Lebens. Sie brauchen jemanden, sie brauchen jemanden, sie werden immer jemanden brauchen.
    Bei Hilgert hat es also leider nicht geklappt. Ich glaube, seine Frau war Chemikerin. In irgendeinem Labor hat sie jedenfalls gearbeitet, und sie haben einander nur am Wochenende gesehen. Wenn er da war und nicht hinter irgendwelchen Phantomen her.
    Ich hatte bald den Eindruck, der nimmt diesen Fall zupersönlich, der will Lisa um alles in der Welt fangen, aber wahrscheinlich war es bloß kriminalistischer Ehrgeiz. Vermutlich geht es nicht ohne diesen Jagdtrieb. Oder er hat Lisa nach dem Mord an den Kindern zu seiner persönlichen Angelegenheit gemacht. Ich will es nicht ausschließen, denn das ging ihm wirklich nahe. Bei Kindern sind viele Leute empfindlich, sogar Polizisten.
    Das klingt nun wieder ausgesprochen diskriminierend, dabei war es diesmal gar nicht so gemeint. Ich will nur sagen, die sind ja von ihrem Beruf her schon etwas abgebrühter als der Normalrest von uns, und da solltet ihr annehmen, sie könnten solche Bilder eher wegstecken als der durchschnittliche Revolverblattkonsument, der sofort Todesstrafe schreit. Das ist jedoch ein Irrtum. Wer tote Kinder sieht, kann den Verstand verlieren, denke ich, oder zumindest sein Gemüt.
    Tatsächlich weiß ich noch, dass er tagelang nicht besonders gesprächig war, nachdem das mit den Kindern … Davon dürftet ihr gehört haben, stand auch bei uns in der Zeitung. Schaut euch auf keinen Fall die Bilder an, die ihr über Google findet! Die meisten

Weitere Kostenlose Bücher