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Lisa

Lisa

Titel: Lisa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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gestreichelt, in Ohren geflüstert. Da wird Politik betrieben, Werbung und Eigenwerbung gemacht. Die Trainer sitzen wie auf Nadeln und hängen den halben Tag am Telefon und zünden eine Zigarette an der anderen an und schreien mit ihren Frauen und schmeißen ihren Kindern den Schlüsselbund hinterher. Denen macht es nämlich genauso wenig Spaß wie unsereinem, arbeitslos zu sein.
    Die sind wie wir. Auch die kriegen immer mal wieder Jobangebote, die ein wenig unter ihrem Niveau sind, und Geld braucht ja jeder, daher müssen sie sich überlegen, ob sie ihrem Namen ein wenig schaden und weiter unten zugreifen, oder ob sie das Risiko eingehen, eine Runde zu passen. Und wenn man zu lange aussetzt, kriegt man gar keinen Job mehr und muss in die Türkei gehen oder nach Saudi-Arabien.
    Wie gesagt, Fußball kümmert mich immer weniger. Aber ich hätte eine Idee, wie man die Sache reizvoller gestalten könnte. Bei Spielen, die durch Elfmeterschießen entschieden werden, könnte man nach je fünf Elfmetern eine zweite Runde starten, bei der zufällig ausgeloste Zuschauer die Strafstöße übernehmen. Versteht ihr, es steht 5:5 oder 3:3, und der Schiedsrichter holt sich fünf Betrunkene aus dem einen Fanblock und fünf aus dem anderen.
    …
    Immerhin hat Lisa den armen Teufel im Kochtopf nicht gegessen. Hat ihm aber auch nichts mehr genützt.
    Ich habe mich oft gefragt, wie sie die Leute erwischt hat.Hilgert hatte dazu eine Theorie, die er mir jedoch nicht sagen wollte. Manchmal hat sie allein Menschen überwältigt, die mit Bestimmtheit stärker sind als alle Frauen, die wir je gesehen haben. Wie hat sie das angestellt? Was steckt dahinter? Ich weiß es nicht. Und Hilgert weiß es auch nicht, egal, was für eine Theorie er hat. Gewissheit hat er nicht.
    Was ist das bloß? Wie macht sie es?
    …
    Gerade habe ich auf dem Gang wieder den Insektenkalender gesehen. Ich finde es reichlich dubios, dass das ganze Haus voll mit Kalendern ist, und noch dazu nicht mit solchen, die ihr im Kinderheim hängen seht. Ich bin ja gegen vorschnelle Urteile, aber hier steht fest, wer die ausgesucht hat, muss einen schweren Dachschaden haben.
    Am liebsten mag ich den mit den bekleideten Tieren. Der hängt im Klo. Januar: Katze in Jeans. Februar: Pferd mit Hut und Krawatte. März: Schimpanse mit Hut und Sakko. April: Hund mit Strickmütze und Stiefeln. Und das geht so weiter, da gibts bekleidete Ochsen, Schafe, Kojoten, Hühner und Warane.
    Ich überlege mir schon eine Weile, ob ich den mitnehme. Ich habe vielleicht erzählt, dass ich grundsätzlich gegen krumme Sachen bin, also würde ich anrufen und fragen. Wenn die sagen, ich soll ihn einfach nehmen, lege ich ihnen einen Zwanziger hin. Das wäre er mir wert, denn so etwas ist mir noch nicht untergekommen. Der Mensch, der sich das ausgedacht und dann auch noch umgesetzt hat, würde mich interessieren, was dem sonst noch im Kopf herumgeht, das würde ich gern wissen.
    Ich sollte was essen.
    Das Zeug nimmt einem ja jeden Appetit. Ich sollte wirklich,ich habe hier schon drei Kilo abgenommen. Am liebsten würde ich mir eine Pizza bestellen, aber das ist wahrscheinlich keine so gute Idee.
    Andererseits, was riskiere ich damit schon groß?
    Es gibt diesen schönen Satz: Die Frage ist nicht, ob du paranoid bist, die Frage ist, bist du paranoid genug? Ich glaube allerdings nicht, dass der auf mich zutrifft. Ich meine, mich sucht ja nicht die NSA oder der KGB. Ich weiß nicht einmal, ob mich überhaupt jemand sucht! Es ist sogar eher unwahrscheinlich! Glaube ich. Hoffe ich. Ich bin ja kein Polizist.
    Ich sage es doch, reden hilft. Ausreden, sich selbst etwas ausreden, man kann sich nämlich ganz schön viel einreden.
    Ich denke, so viel könnte ich gar nicht reden, dass ich den Zustellmenschen der Pizzastube zwanzig Kilometer von hier dazu bringe, mir eine Margherita zu liefern.
    …
    Ja, reden hilft. Obwohl ich glaube, dass hier hineinzusprechen das Verrückteste ist, was ich je gemacht habe.
    Ihr seht, viel Verrücktes habe ich nicht gemacht. Ich war mal auf Interrail, sechs Wochen unterwegs, ohne mich zu Hause zu melden, und habe mich gewundert, als mich schließlich die Grenzpolizei in Frankreich aus dem Zug gefischt hat. Aber das läuft eher unter Jugenddummheit.
    Was habe ich noch Verrücktes gemacht? Ich habe mal … Moment.
    Ich habe mal eine Tankstelle überfallen. Also natürlich nicht richtig, ich fand es lustig, meine neue Gaspistole mit Platzpatronen zu laden, mir eine Mütze über den Kopf zu

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