Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lisa

Lisa

Titel: Lisa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
Vom Netzwerk:
gemacht. Auf eine rätselhaft verquaste Weise ging es bei der Aktion um Mücken an sich, überall hingen Drahtmücken in Adlergröße herum, und in den vier Ecken des Raums standen Kleiderpuppen, auf die sie Mückencremetuben geklebt hatte. Der Boden war bedeckt mit einer roten morastigenSubstanz, die den Saft des Lebens symbolisieren sollte, und an der Wand hingen so Sprüche, Prepared! oder Life assault for you oder This is the Dome – make yourself at home. Sie selbst stand nackt in der Mitte und hatte ihre Tage. Ich weiß nicht, ob sie nachgeholfen hat oder ob das echt war. Will ich es wissen? Ich will es nicht wissen. Nervig war es so oder so. Das Ganze hieß Vamp-ire. Also Vampire auf Englisch plus eine Anspielung auf die wilde Braut, die nach ihrer Ansicht in jeder Frau steckt, das Ganze fand ja in einem Frauenzentrum statt.
    Ein Kommentar ist keine Kunstform! Performancekünstler werden mit wenigen Ausnahmen wirklich nur die, die sonst gar nichts können. Die, bei denen es fürs Malen nicht gereicht hat, die nie eine Skulptur anfertigen werden, die etwas taugt, die nicht gut genug schreiben und die nie einen Film hinkriegen werden, der länger als fünf Minuten dauert, die werden Performancekünstler. Die ficken Plastikhühner oder schneiden sich die Augenbrauen ab oder packen einfach ein Zimmer mit Abfall voll und schreiben dazu einen englischen Titel auf ein Schild.
    Man müsste allen, die auf so etwas reinfallen, nur mehr Wurst zu essen geben.
    …
    Moment, ich halte das jetzt nicht aus, ich liebe Beirut, aber … mir ist gerade nicht nach … ich meine, der Mann ist genial, aber im Moment brauche ich Härte … so. Was nun? Ah.
    …
    Hilgert will die ganze Geschichte ein zweites Mal hören. Er also mit mir erst rauf in die Firma. Ich kann mich noch gut an die Szene erinnern, wie Hilgert dem Chef seinenAusweis gezeigt und gesagt hat, ich bin ein wichtiger Zeuge und muss den ganzen Tag befragt werden.
    Hilgert und ich setzen uns aufgeregt in die nächste Kneipe, nicht zu Langheinrich mit seinen Fliegenfängern überall, ich hatte keine Lust auf Kollegen, und ich lege von vorn los.
    Er fragt mich, was ich für eine Meinung von diesem Nachbarn habe. Ich schildere ihm Umstände und Hintergründe. Der Mann ist zwar alt, oder sagen wir mal, ein bisschen älter als gut ist. Doch was er berichtet hat, dürfte im Wesentlichen stimmen. Vielleicht hat er das eine oder andere, was ihm peinlich war, weggelassen, aber angelogen hat er mich nicht, das ist mein Eindruck.
    …
    Ah ja.
    Hilgert schnappt sich den Zettel mit der Telefonnummer und ruft an. Natürlich meldet sich niemand. Trink aus, sagt er zu mir, wir fahren hin. Ich bin mir vorgekommen wie der Hilfssheriff.
    Beim Nachbarn zuerst einmal Gezeter. Der alte Herr will nichts mit der Polizei zu tun haben. Nicht weil er etwas ausgefressen hätte oder aus Angst, es könnten ihm aus diesem späten Geständnis Schwierigkeiten erwachsen, sondern gewissermaßen aus Prestigegründen, ihr wisst schon, was denken denn die Leute, wenn da die Polizei tjatjatja. Ich erläutere ihm, erstens weiß niemand, dass Hilgert von der Polizei ist, für Außenstehende ist er eben ein Kumpel von mir, und zweitens zieht der alte Herr ohnehin aus, also kann es ihm egal sein, was die Nachbarn sagen.
    Ich weiß nicht, ob es dieses Argument war, das ihn schließlich überzeugt hat, jedenfalls beruhigt er sich underzählt nach einigen kleineren Anlaufschwierigkeiten, wollen Sie ein Glas Bier, Herr Inspektor, wollen Sie ein Glas Wein, Herr Inspektor, wollen Sie ein großes Stück Kuchen, Herr Inspektor, meine Tochter hat ihn gebacken, sie wohnt jetzt in der Dingsbumsstraße im Huiwuiviertel, wollen Sie den Ort des Geschehens sehen, Herr Inspektor, nach solcherart Geplänkel mit dem ungeduldigen Hilgert erzählt der Nachbar die ganze Geschichte noch einmal.
    Hilgert hat mich gebeten aufzupassen, ob er irgendwo abweicht oder etwas hinzudichtet, und tatsächlich sind da nun mehr Details. Als ich das Hilgert hinterher sage, ist er zufrieden, und weil ich mich wundere, erklärt er mir, dass dem Alten beim zweiten Erzählen mehr eingefallen ist, durch die Wiederholung. Verdächtig wäre es, wenn er zweimal genau dieselbe Geschichte erzählt hätte, dann wäre es eine einstudierte Rede gewesen.
    …
    Auf dem Klo liegt eine Internetzeitung rum, und da ging es um Fakes und um Klagen der Schönen und Reichen gegen Gauner im Internet. Es hatte zwar nichts damit zu tun, aber ich musste darüber nachdenken,

Weitere Kostenlose Bücher