Lisbeth 02 - Ein Mädchen von 17 Jahren
dann muß ich nachsitzen. Das weißt du doch…“
Heming blickte sie forschend an.
„Du, Lisbeth! Versetze dich einmal in meine Lage. Was würdest du an meiner Stelle tun? Du verlangst, daß ich lüge, um dir deinen Geburtstag nicht zu verderben. Du setzt mir sozusagen das Messer an die Kehle. Nicht wahr? Was soll ich tun? Was ist nach deiner Meinung das richtige?“
Lisbeth erwiderte seinen Blick und schlug errötend die Augen nieder.
„So habe ich die Dinge nicht gesehen… Aber wenn ich es recht bedenke, dann war das, was ich getan habe, eigentlich sehr häßlich.“
„Ja, das war es.“
Lisbeth biß sich auf die Lippe.
„Was meinst du, Lisbeth, was soll ich nun tun?“
Sie besann sich. Mir wurde wieder einmal klar, was für ein guter Psychologe und Erzieher mein Mann war. Denn wie hätte er wohl sonst auf den Gedanken kommen sollen, den Sünder selber in dieser Frage zu Rate zu ziehen!
„Ich finde, du solltest Gnade vor Recht ergehen lassen, da ich doch nun einmal Geburtstag habe… das heißt natürlich, wenn du eine Strafe für mich weißt, die mir nicht den ganzen Tag verdirbt… ja, ich glaube, das würde wohl das richtige sein.“
„Und was für eine Strafe soll das sein? Soll ich dir für morgen Hausarrest anordnen, damit du dich heute schon darüber ärgern kannst? Oder soll ich dir eines von den Geschenken wegnehmen? Was meinst du?“
Lisbeth stand in ihrem blauen Schlafanzug neben dem Bett. Wie war sie doch jung! Und wie sah sie doch lieb aus, als sie da so hilflos mit roten Wangen vor Heming stand! Ich konnte es schwer begreifen, daß er es fertigbrachte, in diesem strengen und ernsten Ton mit ihr zu reden.
Aber Heming ist Lehrer, und obendrein ein sehr beliebter und geachteter Lehrer. Die Grundsätze, nach denen er seine Schüler erzieht, wendet er hin und wieder auch Lisbeth gegenüber an.
„Komm her, Lisbeth.“
Er richtete sich im Bett auf.
„Schau mich an! Auf das Nächstliegende bist du anscheinend noch nicht gekommen.“
„Ich… du meinst, ich soll es ausbaden… und nachsitzen?“ Lisbeth traten die Tränen in die Augen. „Gut“, sagte sie dann, „du hast recht, Vati.“ Sie lächelte wieder. „Eigentlich ist es gar nicht so schlimm, wie es zuerst aussah. Mein Geburtstag…“
„Den lassen wir uns dadurch nicht verderben, Lisbeth. Nun ist die Sache in Ordnung, und den Rest des Tages wollen wir es alle recht schön haben.“
Lisbeth schlang die Arme um Hemings Hals.
„Du bist wirklich ein feiner Kerl, Vati“, sagte sie. „Du bist der anständigste Mensch von der ganzen Welt.“
Heming lachte.
„Danke für das Kompliment. Aber ist es nicht schön, daß wir uns so gut verstehen? – So, und nun zieh dich schnell an, damit wir nicht zu spät zur Schule kommen.“
Es wurde ein geschäftiger Vormittag. Lisbeth hatte kurz und bündig erklärt, es kämen einige zwanzig Gäste zur abendlichen Geburtstagsfeier. Sie hatte schon am Vortage im Wohnzimmer und in meinem Arbeitszimmer kleine Tische gedeckt.
Das Speisezimmer sollte ausgeräumt werden, damit Platz genug zum Tanzen wäre.
Erna und ich widmeten uns mit Eifer dem Kuchenbacken. Außerdem mußten wir das Mittagessen bereiten, das ebenfalls ein für alle Male festgelegt war. An ihrem siebenten Geburtstag aß Lisbeth bei mir zu ersten Male. Sie hatte sich damals Fleischklöße gewünscht. Seitdem gibt es am 27. April stets Fleischklöße zum Mittagessen.
Meine Gedanken flogen in die Vergangenheit zurück, während ich Eier und Zucker verquirlte, Torten ausschmückte und vorsichtig die Geleeformen umkippte.
Wie deutlich ich das siebenjährige kleine Mädchen in dem zerschlissenen Matrosenkleidchen vor mir sah! Und vor allem ihre glückstrahlenden, blanken Augen! Ganz unfaßbar, daß inzwischen zehn Jahre vergangen waren, zehn lange Jahre seit jenem Tage, an dem die reichste und schönste Zeit meines Lebens begann!
Ich errötete bei dem Gedanken an das Unheil, das Lisbeth abgewehrt hatte. War ich damals doch drauf und dran gewesen, Carl Lövold zu heiraten – den egoistischen Carl, der von Lisbeth nichts wissen wollte. Die liebe Lisbeth! Ihr allein habe ich mein Glück zu verdanken: ihr verdanke ich Heming, ihr meinen Sohn, den kleinen Peik!
Ich blickte aus dem Fenster. Peik baute sich im Garten ein Haus. Von Zeit zu Zeit unterbrach er seine Arbeit, um mit dem Foxterrier Tass zu plaudern, der mit halbgeschlossenen Augen neben ihm auf dem Rasen lag.
Ich erinnere mich noch genau, wie glücklich Lisbeth
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