Literaturgeschichte der USA
als
Imagismus
bezeichneten lyrischen Richtung. Pound postuliert im Manifest
A Retrospect
(1918): «An ‹Image› is […] an […] emotional complex in an instant of time.»[ 83 ] Wie bei vielen seiner modernistischen Zeitgenossen steht auch bei Pound die zeitliche Dimension im Mittelpunkt seiner literaturtheoretischen Überlegungen. Direkt umgesetztwird dieses Konzept in Pounds bekanntestem Gedicht, «In a Station of the Metro» (1913):
In a Station of the Metro
The apparition of these faces in the crowd;
Petals on a wet, black bough.[ 84 ]
In einer Station der Metro
Das Erscheinen dieser Gesichter in der Menge;
Blütenblätter auf einem nassen, schwarzen Ast.[ 85 ]
Dieser an das japanische Haiku angelehnte Dreizeiler reduziert das Bild einer Menschenmenge in einer U-Bahn-Station auf das Bild eines nassen Astes mit Blüten. Für das japanische Haiku sind jahreszeitliche Verweise typisch, was Pound hier durch einen blühenden Ast im Frühjahr umsetzt.
Ebenfalls beeinflusst ist Pound vom chinesischen Ideogramm, also jener bildähnlichen Schrift, in der auch diese japanischen Haikus verfasst sind. Pound sieht in seiner eigenwilligen Interpretation der chinesischen Bilderschrift ein ideales, weil direktes Medium der Lyrik. Bilderschrift stellt nach Pound ihren Inhalt unmittelbar dar, was mit europäischer Alphabetschrift kaum erreichbar zu sein scheint. Pound glaubt in der Reduktion auf Bilder bzw.
imagines
in der Lyrik jenen konkreten, direkten Charakter der chinesischen Bilderschrift im Englischen erzeugen zu können. Letztendlich scheiterte Ezra Pound, der wie sein Vorgänger Walt Whitman lebenslang am
opus magnum
, in seinem Fall den
Cantos
, schrieb, am Versuch, ein modernistisches Epos zu verfassen, das wie die klassischen oder mittelalterlichen Epen eines Homer oder Dante Alighieri das Wissen und Wesen seines Zeitalters reflektiert. Pounds
Cantos
bleiben notgedrungen nicht mehr als Schlaglichter auf die fragmentierte Gesellschaft des 20. Jahrhunderts.
Unmittelbaren Einfluss hat Ezra Pound jedoch auf einen der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller des Modernismus:
T. S. Eliot
s (1888–1965) Hauptwerk, das Langgedicht «The Waste Land» (1922), wurde zu großen Teilen von Ezra Pound ediert und umgeschrieben. Eliot versucht in diesem Text, ähnlichwie Pound, Stimmen aus Renaissance, Mythos und Wissenschaft zusammenzuführen. Hierzu kommen neben zahlreichen intertextuellen Verweisen direkte Zitate oder Fußnoten zum Einsatz. Eliot bedient sich Elementen des Gralsmythos, um die Öde der Zwischenkriegsgesellschaft zu illustrieren. Dabei lässt Eliot die Grenzen zwischen Primär- und Sekundärliteratur bewusst verschwimmen, indem er z.B. wissenschaftliche Fußnoten in den Text seines Gedichtes einbaut. Auch Eliot ist trotz seiner avantgardistischen Prägung gleichzeitig wieder der italienischen Renaissance verpflichtet, da auch Giovanni Boccaccio in der Ritterromanze
Teseida
(1340–1341) Glossen, d.h. wissenschaftliche Fußnoten, in den literarischen Text einfließen ließ.
Im Gegensatz zu seinem Mentor Ezra Pound gelang es T. S. Eliot mit seinen Gedichten und Theaterstücken ein breiteres Publikum zu erreichen. Bis heute sind auch Eliots literaturtheoretische Essays «The Metaphysical Poets» (1921) oder «Tradition and the Individual Talent» (1920) nicht nur richtungsweisende Interpretationen vergangener literaturhistorischer Phänomene, sondern auch indirekt aufschlussreiche Selbstanalysen des modernistischen Projekts der Erneuerung der Literatur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. So führt Eliot in seinem Shakespeare-Aufsatz «Hamlet and His Problems» (1919) den Begriff des «objective correlative», der «gegenständlichen Entsprechung», ein, das er als «set of objects, a situation, a chain of events» definiert, das eine «particular emotion»[ 86 ] zu erzeugen im Stande ist. Wieder geht es hier nicht primär um eine Analyse eines vorhandenen oder fehlenden Phänomens im Werk Shakespeares, sondern vielmehr um ein literaturtheoretisches modernistisches Credo, das sehr viele Parallelen zu Pounds Konzept und Definition des «image» aufweist. Zudem ist das «objective correlative» sehr nahe am «conceit» der
Metaphysical Poets
orientiert – einem anderen literaturhistorischen Interesse Eliots in seinen Essays.
Neben Stein, Pound und Eliot rückten besonders unter dem Einfluss des Feminismus in den letzten Jahrzehnten auch Autorinnen wie
Hilda Doolittle
(1886–1961) oder
Marianne
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