Literaturgeschichte der USA
den Medien mit Fotografie und Film wurde die Realitätswahrnehmung einem Richtungswechsel unterzogen. Die Erfahrung von Raum und Zeit wurde revolutioniert und schlug sich indirekt in der literarischen Praxis des modernistischen Zeitalters nieder. Bierces Kurzgeschichte ist nur ein frühes Beispiel, wie Literatur die neue Erfahrung von Raum und Zeit durch beschleunigte Kommunikationskanäle und Fortbewegungsmittel umsetzt. Ein weiteresElement des Modernismus, das hier bereits anklingt, ist das erstarkende Interesse an psychischen bzw. psychologischen Vorgängen. Hier greift Bierce der Psychoanalyse Sigmund Freuds voraus, indem er sich der psychologischen Phänomene in einer Grenzsituation annimmt.
Über neue Repräsentationstechnologien wie Fotografie und die Möglichkeit, Bewegung im Film darzustellen, wurde die modernistische Literatur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend auch von bildlichen Medien beeinflusst. Besonders Filmschnitt und Montage bzw. der Perspektivenwechsel des neuen Mediums beeinflusste die Malerei als das alte Leitmedium der Bildenden Kunst, deren innovative Richtungen wie Kubismus wiederum eine Vorbildwirkung für die Literatur hatten. Vor allem die Texte der in Paris lebenden Amerikanerin
Gertrude Stein
(1874–1946) experimentieren auf vielfältige Weise mit Fotografie, dem Medium Film und der Kunst der Avantgardemaler Cézanne und Picasso. Steins Wohnung in Paris fungierte am Beginn des 20. Jahrhunderts als Treffpunkt für die künstlerische Elite aus Literatur und Bildender Kunst, wodurch Stein über ihr eigenes Werk hinaus eine zentrale Rolle als Katalysator-Figur im Modernismus zukommt.
Gertrude Steins Text «Melanctha», ein Teil des aus drei Biographien bestehenden Romans
Three Lives
(1909), gilt als Versuch der literarischen Umsetzung des analytischen Kubismus Pablo Picassos. Stein verwendet hier einen Erzählstil, der durch extreme Wiederholungen auf lexikalischer und syntaktischer Ebene charakterisiert ist. Neben Wort- und Satzteilwiederholungen werden oft ganze Absätze in leicht modifizierter Form erneut in den Text integriert. Stein versucht damit, die fragmentierte Perspektive eines kubistischen Gemäldes umzusetzen, das Teile des abzubildenden Gegenstands aus mehreren unterschiedlichen Perspektiven gleichzeitig auf die Leinwand projiziert. So wie die Kubisten ein Objekt aus verschiedenen Blickwinkeln quasi in Bewegung, auf der Leinwand zu fixieren trachteten, versuchte Stein ein mehrperspektivisches Darstellen im literarischen Diskurs. So erscheint z.B. die Passage «Rose laughed when she was happy but she had not the wide, abandoned laughter thatmakes the warm broad glow of negro sunshine»[ 81 ] dreimal im Text auf den Seiten 59, 64 und 77 in nur leichten Variationen («Rose lachte, wenn sie glücklich war, aber es war nicht das offene, selbstvergessene Lachen, des dem Negersonnenschein die warme tiefe Glut verleiht.»)[ 82 ]
Trotz ihrer Vorreiterrolle für die modernistische Literatur in Amerika und ihres großen Einflusses auf die wichtigen Modernisten Ezra Pound, T. S. Eliot und Ernest Hemingway hat ihr Werk nie eine Brücke zu einem breiten Publikum schlagen können. Stein hat sich daher selbst als «a writers’ writer» charakterisiert, die bedeutenden Einfluss auf andere Schriftsteller ausübt, ohne eine größere Anhängerschaft im Sinne eines Lesepublikums zu besitzen.
Von Gertrude Stein geprägt wurde der Lyriker
Ezra Pound
(1885–1972), der selbst maßgeblich andere Dichter beeinflusste. Als eine der schillerndsten Figuren des amerikanischen Modernistenkreises war Pound um eine revolutionäre Umwälzung der Literatur bemüht. In Anlehnung an die italienische Renaissance, die in künstlerischer Hinsicht einen radikalen Neubeginn am Ende des Mittelalters darstellte, glaubte Pound, am Beginn des 20. Jahrhunderts eine ähnliche Wende herbeiführen zu können. Dieser Radikalismus hat ihn später auch in die Nähe des Faschismus Mussolinis gerückt und beim literarischen Establishment in Ungnade fallen lassen.
Am Beginn seiner lyrischen Tätigkeit experimentiert Pound mit japanischen Haikus – Kurzgedichten, die in streng reglementierter Form und vorgeschriebener Silbenzahl ein bestimmtes Bild einfangen wollen. Pound ist von der reduktionistischen Herangehensweise dieser lyrischen Gattung begeistert und verfasst davon inspiriert programmatische manifestartige Schriften. Das auf eine
imago
im Haiku verdichtete Bild ist bei Pound die Grundlage seiner
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