Literaturgeschichte der USA
Urne durch ein Marmeladenglas ersetzt, bietet er auf ironisch-parodistische Weise sozusagen das amerikanische Gegenstück zur griechischen Vase. Mit dieser unterschwelligen Anspielung auf den Romantiker Keats führt Stevens ein weiteres zentrales Anliegen der Modernisten vor – nämlich die bewusst propagierte Abkehr der modernistischen Bewegung vom romantischen Literaturverständnis. Stevens räumt mit zwei Illusionen gleichzeitig auf: Die Erneuerung kann nicht auf bereits mehrmals wiederbelebten klassischen Traditionen fußen, die obendrein noch vom erklärten «Feindbild» Romantik verwendet wurden.
Ebenfalls autochthonen Sujets zugetan war
William Carlos Williams
(1883–1963), der neben seiner Tätigkeit als Arzt eine Fülle von Gedichten verfasste. Zu den bekanntesten zählt «The Red Wheelbarrow» (1923):
so much depends
upon
a red wheel
barrow
glazed with rain
water
beside the white
chickens.[ 91 ]
Die rote Schubkarre
so viel hängt ab
von
einer roten Schubkarre
glänzend von Regenwasser
bei den weißen
Hühnern.[ 92 ]
Es erscheint wie eine Parodie des «metaphysical conceits», wie des «spinning wheel» des puritanischen Dichters Edward Taylor, jener objekthaften Metapher, die Eliot in Form seines «objective correlative» für die moderne Lyrik propagiert. Ähnlich wie Stevens verwendet Williams etwas zutiefst Unerhabenes, das sich vor jeder amerikanischen Scheune als zufälliges Arrangement findet. Interessanterweise realisiert aber dieses Gedicht Williams’ trotz seiner ironischen Note oder gerade deshalb zentrale Anliegen der Poetik Eliots und Pounds. Das «objective correlative» scheint zu funktionieren und transportiert jene Stimmungsbilder, die wir mit amerikanischem Farmleben assoziieren. Andererseits erinnert das Gedicht sehr an die vom japanischen Haiku beeinflussten Imagismuskonzepte Pounds.
Ebenfalls interessiert an der Umsetzung eines Bildes, aber nicht unbedingt im imagistischen Sinne Pounds, ist der Maler-Poet
e. e. cummings
(1894–1962), der Europa den Rücken kehrte und in den USA sowohl als Maler als auch als Schriftsteller tätig wurde. cummings geht es als Dichter um die Bildhaftigkeit des Textes, wobei er eigentlich das Pound’sche Konzept einer Bildersprache, die an chinesischen Schriftzeichen orientiert ist, viel radikaler als Pound umzusetzen im Stande ist. In seiner konkreten Poesie erzeugt cummings mit der Textoberfläche eineWechselwirkung zum Inhalt des Textes. Auch hier gab es Vorläufer bei den
Metaphysical Poets
des 17. Jahrhunderts oder den Bildgedichten französischer Surrealisten, jedoch geht cummings mit seinen Arbeiten über das bildliche Arrangieren von Buchstaben zu Objekten weit hinaus. Wie komplex dieser Einsatz jedes einzelnen sprachlichen Zeichens bis hin zur Buchstaben- bzw. Interpunktionsebene werden kann, zeigt das gegen Ende seines Schaffens entstandene Gedicht «l(a» (1958):
l(a
e(ein
le
bl
af
att
fa
fä
ll
ll
s)
t)
one
in
l
sam
iness[ 93 ]
keit[ 94 ]
Liest man das Gedicht von oben nach unten, fällt zunächst auf, dass in den Text eine Klammer eingeschoben ist, innerhalb der «a leaf falls» zu lesen ist. Außerhalb der Klammer steht «loneliness». Man könnte nun behaupten, dass es sich hierbei um ein äußerst romantisches, ja vielleicht melancholisches Gedicht handelt, das Einsamkeit zum Thema hat. Dieses Thema der «loneliness» wird durch ein sehr konkretes Bild – Eliot würde es «objective correlative» nennen – umgesetzt, nämlich ein einzelnes vom Baum fallendes Blatt. Bereits Homer hat die Vergänglichkeit des Menschen mit Blättern im Wind gleichgesetzt. cummings nun geht darüber hinaus und realisiert diesen Inhalt auf der optischen Ebene: Das Fallen des Blattes wird durch mehrere Elemente visuell nachgezeichnet. Die beiden Klammern verdeutlichen das Hin-und-her-Bewegen des Blattes «(» «)». Zudem verwendet cummings die rhetorische Figur des Chiasmus bzw. der Kreuzstellung bei den Zeilen «af» und «fa». Aber nicht nur die Bewegung des fallenden Blattes wird auf der kleinsten sprachlichen Ebene des Buchstabens umgesetzt. Cummings spielt hier auch mit der typographischen Mehrdeutigkeitvon Buchstaben: Das «l» kann auch als «I» bzw. «Ich» oder «1» gelesen werden. Damit wird «loneliness» zur «1ness» oder zum Fall aus der «11»
Zwei
samkeit in die «1»
Eins
amkeit. Wie dieses Beispiel zeigt, finden sich innerhalb der modernistischen Lyrik sehr unterschiedliche Erscheinungsformen, die aber immer wieder um
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