Little Bee
bürgt.«
»Ich habe die Regeln nicht gemacht, Sir. Die Einwanderungsbehörde hat ihre eigenen Gesetze.«
»Aber Sie können uns doch sicher ein bisschen Zeit geben, um den Fall vorzubereiten. Ich arbeite im Innenministerium, ich kann Berufung einlegen.«
»Sir, mit Verlaub, aber wenn ich im Innenministerium arbeiten würde und die ganze Zeit gewusst hätte, dass diese Dame illegal hier ist, würde ich lieber den Mund halten.«
»Dann eben einen Tag. Vierundzwanzig Stunden, bitte.«
»Es tut mir leid, Sir.«
»Verdammte Scheiße, das ist, als würde ich mit einem Roboter reden.«
»Ich bin genau wie Sie aus Fleisch und Blut, Sir. Nur, wie gesagt, ich habe die Regeln nicht gemacht.«
Sarah weinte in meiner Zelle.
»Ich habe es nicht verstanden«, sagte sie. »Es tut mir so leid, Bee, ich hatte ja keine Ahnung. Ich dachte, du wärst einfach schwer von Begriff. Als Lawrence dich losgeschickt hat, um die Polizei zu rufen, hat er nicht daran gedacht ... und ich habe nicht daran gedacht ... und jetzt ... oh Gott. Du wusstest, was passieren könnte, und hast es trotzdem ohne jeden Gedanken an dich selbst getan.«
Ich lächelte. »Das war es wert. Das war es wert, damit die Polizei Charlie finden konnte.«
Sarah schaute weg.
»Sei nicht traurig, Sarah. Die Polizei hat Charlie doch gefunden.«
Sie wandte sich langsam zu mir und schaute mich mit schimmernden Augen an.
»Ja, Bee, sie haben eine große Suche veranstaltet und ihn gefunden. Nur wegen dir. Oh, Bee, ich habe noch nie jemand so Freundlichen ... oder Tapferen ... oh Gott...«
Sie legte ihr Gesicht ganz nah an meins.
»Ich werde es nicht zulassen«, flüsterte sie. »Ich werde einen Weg finden. Ich lasse nicht zu, dass sie dich zurückschicken und du getötet wirst.«
Ich gab mir große Mühe zu lächeln.
Um zu überleben, musst du hübsch aussehen oder schön sprechen. Ich habe das Englisch der Königin gelernt. Ich habe alles gelernt, was ich über eure Sprache lernen konnte, aber dann habe ich es übertrieben. Selbst jetzt fand ich nicht die richtigen Worte. Ich nahm Sarahs linke Hand in meine und hob sie an die Lippen und küsste das glatte Gelenk, den Überrest ihres verlorenen Fingers.
In dieser Nacht schrieb ich einen Brief an Sarah. Der Beamte gab mir Stift und Papier und versprach, ihn für mich abzuschicken. Liebe Sarah, danke, dass du mir das Leben gerettet hast. Es war nicht unsere Entscheidung, dass unsere Welten sich begegnen. Eine Zeit lang dachte ich, sie hätten sich vermischt, aber das war nur ein schöner Traum. Sei nicht traurig. Du hast verdient, dass dein Leben wieder einfach wird, leb glaube, sie holen mich bald. Unsere Welten sind voneinander getrennt, und nun müssen auch wir uns trennen. Alles Liebe, Little Bee.
Sie holten mich um vier Uhr morgens. Es waren drei uniformierte Beamte von der Einwanderungsbehörde, eine Frau und zwei Männer. Ich hörte ihre Schuhe, die auf dem Linoleum im Flur hallten. Ich war die ganze Nacht wach gewesen und hatte auf sie gewartet. Ich trug noch das Sommerkleid mit der hübschen Spitze um den Ausschnitt, das Sarah mir gegeben hatte, und in der Hand hatte ich meine Sachen in der durchsichtigen Plastiktüte. Ich stand auf und erwartete sie schon, als sie die Tür aufrissen. Wir gingen hinaus. Die Tür der Zelle fiel hinter mir zu. Bumm, das war es. Es regnete. Sie ließen mich hinten in einen Lieferwagen steigen. Die Straße war nass, und die Scheinwerfer schoben Lichtstreifen vor sich her. Eines der hinteren Fenster war halb geöffnet. Im Lieferwagen roch es nach Erbrochenem, doch die Luft, die hereinwehte, roch nach London. Die Fenster entlang der Straßen waren still und blind, die Vorhänge geschlossen. Ich verschwand, ohne dass es jemand sah. Die Beamtin fesselte mich mit Handschellen an den Sitz vor mir.
»Das mit den Handschellen ist nicht nötig«, sagte ich. »Wie sollte ich denn weglaufen ?«
Die Beamtin schaute mich an. Sie war überrascht. »Du sprichst ziemlich gut Englisch. Die meisten Leute, die wir abholen, können kein einziges Wort.«
»Ich dachte, wenn ich lerne, wie Sie zu sprechen, könnte ich bleiben.«
Die Beamtin lächelte. »Eigentlich ist es egal, wie du sprichst. Du lebst von unserem Geld. Die Sache ist die, du gehörst nicht hierher.«
Am Ende der Straße bog der Lieferwagen um eine Ecke. Ich schaute durch das Metallgitter am hinteren Fenster und sah zwei lange Reihen von Doppelhaushälften verschwinden. Ich dachte an Charlie, der fest unter seiner Daunendecke
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