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Little Bee

Little Bee

Titel: Little Bee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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schlief, und an sein tapferes Lächeln, und mein Herz tat weh, weil ich ihn nie wiedersehen würde. Ich hatte Tränen in den Augen.
    »Aber, bitte, was bedeutet das denn?«, fragte ich. »Was bedeutet es, hierher zu gehören?«
    Die Beamtin drehte sich wieder zu mir um.
    »Na, dazu musst du britisch sein. Du musst unsere Wertvorstellungen teilen.«
    Ich wandte mich von der Frau ab und schaute in den Regen hinaus.
    Drei Tage später holte mich eine andere Gruppe von Beamten aus einer anderen Arrestzelle und setzte mich mit einem anderen Mädchen in einen Minibus. Sie fuhren uns zum Flughafen Heathrow. Sie führten uns an der Schlange im Terminal vorbei in ein kleines Zimmer. Wir trugen Handschellen. Wir mussten uns auf den Boden setzen - Stühle gab es nicht. Es waren noch zwanzig andere im Zimmer, Männer und Frauen, und es war sehr heiß. Es gab keine frische Luft, und das Atmen fiel schwer. Eine Wärterin stand an der Tür. Sie hatte einen Schlagstock und eine Dose Pfefferspray am Gürtel. Ich fragte sie, Was passiert hier? Sie lächelte und antwortete, Was hier passiert? Hier gibt es ganz viele fliegende Maschinen, die wir Flugzeuge nennen. Sie starten und landen auf einem langen Streifen Asphalt, den wir Startbahn nennen, denn das hier nennen wir Flughafen, und bald wird eins von diesen Flugzeugen ins Umba-Wumba-Land fliegen, aus dem du kommst, und du sitzt drin. Verstanden? Ob's dir gefällt oder nicht. Hat sonst noch jemand Fragen ?
    Wir warteten lange. Einige wurden aus dem Zimmer geholt. Eine Frau weinte. Ein dünner Mann wurde wütend. Er versuchte, sich der Wärterin zu widersetzen, und sie schlug ihm zweimal mit dem Schlagstock in den Magen. Danach war er still.
    Ich schlief im Sitzen ein. Als ich aufwachte, sah ich vor mir ein violettes Kleid und lange braune Beine. »Yevette!«
    Die Frau drehte sich zu mir um, aber es war nicht Yevette. Zuerst war ich traurig, meine Freundin nicht hier zu sehen, doch dann begriff ich, dass ich glücklich war. Wenn dies nicht Yevette war, bestand die Chance, dass sie noch frei war. Ich stellte mir vor, wie sie in London die Straße entlangging, mit ihren violetten Flipflops und den nachgezogenen Augenbrauen, und ein Pfund gesalzenen Fisch kaufte und WU-ha-ha-ba! zum strahlend blauen Himmel hinauflachte. Und ich lächelte.
    Die Frau, die nicht Yevette war, machte ein ärgerliches Gesicht. Was ist los mit dir?, wollte sie wissen. Denkst du, die schicken uns in Urlaub?
    Ich lächelte. Ja, sagte ich. Das ist der Urlaub meines Lebens.
    Sie drehte sich um und wollte nicht mehr mit mir sprechen, und als sie zu ihrem Flug geholt wurde, ging sie ohne Widerstand hinaus und schaute nicht zu mir zurück.
    Als ich sie gehen sah, wurde mir meine Lage zum ersten Mal richtig bewusst, und zum ersten Mal hatte ich Angst. Ich hatte Angst vor der Rückkehr. Ich weinte und sah meine Tränen in den schmutzigen braunen Teppich sickern.
    Sie gaben uns kein Essen oder Wasser, und mir wurde flau. Nach ein paar weiteren Stunden kamen sie mich holen. Sie führten mich geradewegs zum Flugzeug. Die anderen Passagiere, die zahlenden Passagiere, mussten zurücktreten, während ich als Erste die Treppe hinaufging. Alle starrten mich an. Sie führten mich nach hinten ins Flugzeug, zur letzten Sitzreihe vor den Toiletten. Ich musste mich auf den Sitz am Fenster setzen, und neben mir ließ sich ein Wachmann nieder, ein großer Mann mit rasiertem Kopf und goldenem Ohrring. Er trug ein blaues Nike-T-Shirt und eine schwarze Adidas-Hose. Er nahm mir die Handschellen ab, und ich rieb meine Handgelenke, um das Blut zum Fließen zu bringen.
    »Tut mir leid«, sagte der Mann. »Mir gefällt diese Scheiße genauso wenig wie dir.«
    »Warum machen Sie es dann ?«
    Der Mann zuckte die Achseln und schnallte sich an. »Es ist ein Job, oder?«
    Er zog eine Zeitschrift aus der Tasche im Vordersitz und schlug sie auf. Darin waren Armbanduhren für Männer abgebildet, die man kaufen konnte, und auch ein flauschiges Modell des Flugzeugs als Geschenk für Kinder.
    »Sie sollten sich einen anderen Job aussuchen, wenn Ihnen der hier nicht gefällt.«
    »Niemand sucht sich diesen Job aus, Schätzchen. Ich habe keine Ausbildung. Ich hab früher Gelegenheitsarbeiten gemacht, aber mit den Polacken kann man heutzutage nicht mehr mithalten. Die Polen arbeiten einen ganzen Tag für ein freundliches Wort und eine Packung Fluppen. Also bin ich hier und passe auf Mädchen wie dich auf, die den Urlaub ihres Lebens machen. Irgendwie

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