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Little Bee

Little Bee

Titel: Little Bee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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weshalb sie nicht längst unterwegs war.
    »Geh!«, sagte ich.
    Sie starrte mich an. »Die Polizei ...«, sagte sie. Allmählich dämmerte es mir. Die Nummer. Natürlich! Sie kennt die Nummer des Notrufs nicht. »Die Nummer ist 999«, sagte ich.
    Sie stand einfach da. Ich begriff nicht, worin das Problem bestand. »Die Polizei, Sarah.«
    Ich starrte sie an. Ihre Augen blickten flehentlich. Sie wirkte verängstigt. Und dann, ganz langsam, veränderte sich ihre Miene. Sie wurde fest und entschlossen. Little Bee holte tief Luft und nickte mir zu. Dann drehte sie sich um, zuerst langsam, dann sehr schnell, und rannte in Richtung Tor. Als sie auf halbem Weg über den Rasen war, schlug Lawrence die Hand vor den Mund.
    »Oh, Scheiße, die Polizei«, sagte er.
    »Was?«
    Er schüttelte den Kopf. »Egal.«
    Lawrence stürzte ins Labyrinth der Wege zwischen den Rhododendren. Ich stellte mich mitten auf den Rasen und rief wieder nach Charlie. Ich rief und rief, während die Enten vorsichtig in ihre angestammten Bahnen auf dem See zurückkehrten. Ich zitterte in meinen nassen Jeans. Zuerst rief ich Charlie, damit er wusste, wo er mich finden konnte, doch als meine Stimme allmählich versagte, wurde mir klar, dass ich eine weitere Grenze überschritten hatte und den Namen nur noch rief, um ihn zu hören, um seine fortgesetzte Existenz in der Welt zu sichern. Mir wurde klar, dass der Name alles war, was ich besaß. Meine Stimme senkte sich zu einem Flüstern. Ich hauchte Charlies Namen.
    Als Charlie kam, kam er ganz allein. Er trottete aus dem dunklen Gewirr des Rhododendrons, völlig verdreckt, und zog den Batman-Umhang hinter sich her. Ich rannte zu ihm hin, nahm ihn in die Arme und drückte ihn an mich. Ich presste mein Gesicht an seinen Hals und atmete seinen Geruch ein, das scharfe Salz seines Schweißes, einen beißenden Hauch von Erde. Die Tränen liefen mir übers Gesicht.
    »Charlie«, flüsterte ich. »Oh, meine Welt, meine ganze Welt.«
    »Lass los, Mama! Du zerquetscht mich!«
    »Wo bist du gewesen?«
    Charlie kehrte die Hände nach außen und antwortete, als wäre ich dämlich. »Natürlich in meiner Bat-Höhle.«
    »Oh, Charlie. Hast du uns denn nicht rufen hören? Hast du denn nicht gemerkt, dass wir nach dir gesucht haben?«
    Charlie grinste unter seiner Maske. »Ich hab mich versteckt.«
    »Wieso? Wieso bist du nicht rausgekommen? Hast du nicht gemerkt, welche Sorgen wir uns gemacht haben?«
    Mein Sohn blickte traurig zu Boden. »Lawrence und Bee waren stinkig. Die haben nicht mit mir gespielt. Also bin ich in meine Bat-Höhle gegangen.«
    »Oh, Charlie. Mama war so durcheinander. Furchtbar dumm und egoistisch. Ich verspreche dir, Charlie, ich werde nie wieder so dumm sein. Du bist meine ganze Welt, weißt du das? Das vergesse ich nie wieder. Weißt du, wie viel du mir bedeutest?«
    Charlie blinzelte, er schien eine Gelegenheit zu wittern.
    »Kann ich ein Eis haben?«
    Ich umarmte meinen Sohn. Ich spürte seinen warmen, schläfrigen Atem an meinem Hals und durch den dünnen grauen Stoff des Kostüms den sanften, beharrlichen Druck der Knochen unter seiner Haut.

    *

    Die Polizisten kamen nach fünfzehn Minuten. Sie waren zu dritt. Sie kamen langsam angefahren in einem silbernen Auto mit leuchtend blauen und orangefarbenen Streifen an der Seite und Signalleuchten auf dem Dach. Sie fuhren über den Fußweg zum Tor zur Isabella Plantation, wo ich stand. Sie stiegen aus und setzten die Mützen auf. Sie trugen weiße Hemden mit kurzen Ärmeln und dicke schwarze Westen mit einem schwarz-weiß karierten Streifen. Die Westen hatten viele Taschen, in denen Schlagstöcke, Funkgeräte, Handschellen und andere Dinge steckten, deren Namen ich nicht kannte. Ich dachte, das würde Charlie gefallen. Diese Polizisten sind besser ausgerüstet als Batman.
    Wenn ich den Mädchen zu Hause diese Geschichte erzählen würde, müsste ich erklären, dass Polizisten in Großbritannien keine Schusswaffen tragen.
    - Wahl Keine Pistole?
    - Keine Pistole.
    - Warum haben sie die ganzen Sachen dabei und vergessen das Wichtigste? Wie erschießen sie denn die bösen Männer?
    - Sie erschießen die bösen Männer nicht. Wenn sie anfangen zu schießen, bekommen sie meistens Probleme.
    - Wahl Das ist aber ein verdrehtes Königreich, in dem die Mädchen ihre Titus, die Polizisten aber ihre Waffen nicht zeigen dürfen.
    Dann müsste ich nicken und ihnen wieder sagen: Mein Leben in diesem Land war oft ganz durcheinander.
    Die Polizisten knallten die

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